Nachfolgend finden Sie Vorträge im Zusammenhang mit dem Kulturhauptstadtjahr 2010 („Bredeneyer Kulturspur – Lange vor dem Hügel“) sowie mit dem Jubiläum der Eingemeindung Bredeneys nach Essen 1915 (Klaus Wisotzky: „Wie Bredeney zu Essen kam – Die Eingemeindung vor 100 Jahren“ und  Jürgen Lindenlaub: „Bredeney in der Zeit der selbstständigen Bürgermeisterei 1902 bis 1915“.

 

„Lange vor dem Hügel“

Im Rahmen des Essener Kulturhauptstadtjahres 2010 hat der Stadtteil Bredeney am 28. Mai 2010 die „Bredeneyer Kulturspur 2010“ veranstaltet. Bredeneyer Kirchen, Kindergärten, Schulen, Sportvereine, Künstler und Musikbands haben sich daran beteiligt.

Gemeindeglieder der Evangelischen Kirchengemeinde (Renate Köhne-Lindenlaub, Joachim Lauterjung und Jürgen Lindenlaub) haben in diesem Zusammenhang unter dem Titel „Lange vor dem Hügel“ Sagen und Legenden aus der Zeit vor 1800 sowie erläuternde historische Anmerkungen vorgetragen. Die Organistin Ingeborg Deck hat zwischen den Lesungen mit Orgel, Flöte und Gesang mittelalterliche Musik dargeboten.

Programm und Texte der „Bredeneyer Kulturspur – Lange vor dem Hügel“ finden Sie hier.

Bredeneyer Kulturspur – Lange vor dem Hügel

Geschichte: Bredeney nach 1800

Bredeney zählt heute nach Fläche und Bevölkerungszahl zu den mittleren Stadteilen Essens und ist – ähnlich anderen Essener Stadtteilen – in seiner Struktur und Größe das Ergebnis von Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts.

Bis 1800 ist Bredeney eine zu Werden gehörende Bauernschaft. Mit der Säkularisation und dem Reichsdeputationshauptschluss kommen das Reichsstift Werden und damit auch Bredeney 1803 zu Preußen, bald danach im Zuge der napoleonischen Besetzungen aber für etwa 10 Jahre zum Herzogtum Berg, um dann 1815 endgültig preußisch zu werden. Preußen gliedert das Essener Gebiet in sechs Urbürgermeistereien, darunter Kettwig mit den sechs Honnschaften Umstand, Bredeney, Heisingen, Ickten, Roskothen und Schuir. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wird aus dieser Sechshonnschaft u.a. mit Bredeney einschließlich Baldeney und Schuir eine Zweihonnschaft ausgegliedert. Diese wird 1901 als selbstständige Bürgermeisterei von der Landbürgermeisterei Kettwig gelöst, erhält ein eigenes Rathaus  und heißt seit 1903 Bredeney.

Die wirtschaftliche Entwicklung hatte diese Verselbständigung nahezu zwangsläufig gemacht. Etwa mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ist die Landwirtschaft nicht mehr alleinige Erwerbsquelle auf Bredeneyer Gebiet. Seit ungefähr 1770 wird verstärkt zunächst an den Ruhrhängen und dann nach Norden fortschreitend Steinkohle abgebaut. Flaggschiff ist hier die 1772 gegründete Zeche Langenbrahm, die bis 1966 fördert. Der überwiegende Teil der zahlreichen Betriebe sind aber Kleinzechen und Tagespütts im Stollenabbau, die Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend wieder verschwinden.

Etwas zeitversetzt dazu entwickelt sich Bredeney seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aufgrund seiner reizvollen Lage über dem Ruhrtal zu einem bevorzugten Wohngebiet Essener Bürgertums. 1870-73 erbaut Alfred Krupp die Villa Hügel, seit den 1890er Jahren die Siedlung Brandenbusch. Villenkolonien entstehen am Ruhrstein, später Am Brunnen und an der Brachtstraße. Seit 1894 fährt die Straßenbahn nach Bredeney; am Alfredusbad wird eine Straßenbahnmeisterei eingerichtet. Ausflugslokale entstehen. Seit 1895 erhält Bredeney ein Achtel der Einkommensteuer der in Altendorf produzierenden, aber auf dem Hügel wohnenden Familie Krupp. Bredeney ist eine wohlhabende Gemeinde. Die Bevölkerung wächst (in heutiger Abgrenzung) von rd. 560 um 1820 auf 3.600 im Jahre 1900. Volksschulen und später zwei Gymnasien werden gebaut. 1883 wird die katholische St. Markuskirche eingeweiht, 1906 das evangelische Bethaus Am Brandenbusch. Bredeney wird 1915 nach Essen eingemeindet, aber ohne Unterbredeney, das ist das nördlich der Ruhr gelegene heutige Werden. Zu dieser Zeit ist Bredeney ein blühender Stadtteil mit gemischter Struktur – gewerblich geprägt durch Langenbrahm, einige Ziegeleien, die Straßenbahnmeisterei und natürlich auch noch Landwirtschaft, und daneben eine erste Wohnadresse für das Essener Bürgertum.

1939 hat Bredeney rd. 9.600 Einwohner, 1961 – nach den großen Zuzügen in der Nachkriegs-zeit und den starken Jahren des Steinkohlenbergbaus bis Ende der 1950 Jahre – sind es 13.400. Das hat Folgen für Siedlungs- und Infrastruktur. So wird 1967 auf dem Boden des alten Bremerkottens die Kirche Am Heierbusch gebaut, in der Sie sich heute befinden.

 

 

Geschichte: Bredeney vor 1800

Doch gibt es auch Erzählenswertes über die Zeit vor 1800. Denn auch bei Bredeney zeigt sich, wenngleich vielleicht nicht in so exponierter Form wie in anderen Essener Stadtteilen, dass seine Geschichte nicht erst mit der Industrialisierung beginnt, sondern – mit anderen Schwerpunkten – Jahrhunderte zurückreicht.

796 überträgt ein Hemricus dem Missionar und Gründer des Werdener Klosters, Liudger, eine Rodung am Nordufer der Ruhr. Das ist die erste Erwähnung Bredeneyer Gebietes, wenn auch der Name noch nicht genannt ist. Dies geschieht erst im Jahr 875, als urkundlich von diesem Gebiet als „brede Aeu“, als breite Aue, gesprochen wird, was dann weiterentwickelt wird zu „Bredenaia“ und Bredeney. In der „breiten Aue“ am Ruhrufer liegt der Sitz des Grundherren. Der Flurname ist maßgebend auch für den übrigen Besitz der Grundherrschaft und damit auch für das weiter entfernt auf der Höhe liegende zugehörige Dorf. Es liegt am heutigen Bredeneyer Kreuz, der Kreuzung von zwei alten Handelsstraßen. Etwa um das Jahr 1000 schenkt der damalige Grundherr von Bredeney, Hoger, sein Gut Barenscheid und sein gesamtes Erbe in Bredeney, also auch das Dorf, dem Kloster Werden. Bredeney wird nun eine Bauernschaft innerhalb der Großgrundherrschaft des Klosters.

Auf der Höhe im Dorf Bredeney gibt es in dieser ersten Zeit mit dem „gut tor Kerken“, dem Kirchmannshof nur ein Bauerngut. Das befindet sich neben der 1036 oder 1136 – da ist man sich uneinig – errichteten und gegenüber der heutigen Markuskirche liegenden Markuskapelle. Etwas später entsteht auf dem Gelände des heutigen Rathauses als weiterer Bredeneyer Urhof der Wüsthof, der später Ostermannhof heißt. Beginnend schon 850 gibt es eine Hofgruppe im Meckenstock. Bis zum 17. Jahrhundert kommt es zu weiteren Hof- und Kottengründungen, u.a. in der Mielesheide, der Küppersheide, an der Meisenburgstraße, der Brachtstraße, am Brandenbusch und an der Kluse. Unten im Tal ist vor allem der in unmittelbarer Nachbarschaft der Barenscheider Höfe liegende Rittersitz Baldeney zu nennen. Er liegt an der „balden aue“, der abschüssigen oder engen Aue. Begründet wird er wohl schon 1226 von Adolf von der Mark, dann ausgebaut und schließt seit 1269 eine Korn- und Ölmühle ein. 1337 erhält er eine Kapelle und 1800 auch eine Fähre. Besitzer des Hauses Baldeney standen immer wieder in Diensten der Essener Äbtissin und des Werdener Abtes, waren einflussreiche adelige Familien in der Grafschaft Mark.

Von den Kapellen im Bredeneyer Gebiet in diesen frühen Jahrhunderten sind mit der Maria Magdalena-Kapelle am Haus Baldeney und der Markuskapelle auf der Höhe im Dorf Bredeney schon zwei genannt. Über die letztere werden wir gleich noch sprechen, ebenso über die Klusenkapelle, die Ende des 13. Jahrhunderts auf Betreiben der Fürstäbtissin als Klausnerei errichtet und etwas später zur Kapelle ausgebaut wird.

 

 

Geschichte: Bredeney und das Jahr 1225

Zwei der soeben genannten Orte aus der Frühzeit der Bredeneyer Geschichte – Kluse und Haus Baldeney – und wenn man so will, mit der Bredeney unmittelbar benachbarten Isenburg oberhalb von Rellinghausen auch noch ein dritter Ort, sind unmittelbar verknüpft mit einem zentralen Ereignis deutscher Territorialgeschichte im 13. Jahrhundert, der Ermordung des Kölner Erzbischofs, Mitglied des königlichen Wahlkollegiums und Reichsverwesers Engelbert 1225 durch Friedrich von Isenberg. Eine eindrucksvolle Sonderausstellung in Herne widmet sich in diesem Jahr diesen Vorgängen. Welche Interessengegensätze bestanden hier?

Zunächst die Kölner Erzbischöfe: Bei der Auseinandersetzung zwischen Staufern und Welfen wird Heinrich der Löwe 1180 durch Friedrich Barbarossa geächtet und verliert seine Reichslehen, darunter auch das Herzogtum Westfalen, das an den Erzbischof von Köln fällt. Die Kölner Erzbischöfe und hier im 13. Jahrhundert insbesondere Engelbert von Berg und Conrad von Hochstaden, suchen ihr Kölner Territorium mit ihrem westfälischen Gebiet u.a. dadurch zu verbinden, dass sie versuchen, die Essener Vogteien unter ihren Einfluss zu bringen. Die vom Feudalherren, hier dem König, eingesetzten Vögte besitzen nämlich, vor allem mit Schutzaufgaben und der weltlichen Gerichtsbarkeit, eine erhebliche politische und auch wirtschaftliche Machtposition.

Die Vögte seit Mitte des 11. Jahrhunderts in Werden und seit Mitte des 12. Jahrhunderts auch in Essen kommen aus den Familien der Grafen von Berg und Altena. Seit Anfang des 13. Jahrhunderts ist Friedrich von Isenberg Vogt der Werdener Abtei und des Essener Stifts. Er residiert auf der 1193-1199 erbauten (alten) Isenburg bei Hattingen und denkt nicht daran, seine Vogteirechte aufzugeben. Im Gegenteil vertritt er diese gegenüber der Essener Äbtissin wohl so rabiat, dass sie sogar bei ihrem eigentlichen Kontrahenten Engelbert Hilfe erbittet.

Die Auseinandersetzungen zwischen dem Kölner Erzbischof und dem Isenberger eskalieren und führen schließlich zum berühmt-berüchtigten Meuchelmord Engelberts durch Gefolgsleute Friedrich von Isenbergs 1225 bei Gevelsberg. Das hat nun mannigfache Konsequenzen, darunter: 1. Friedrich von Isenberg wird geächtet und 1226 in Köln am Severinstor gerädert und hingerichtet. 2. Eine nahe Verwandte Friedrichs lässt sich – so die Sage, aber nicht die Wirklichkeit – büßend in der Kluse einmauern. 3. Der Köln-treue Graf Adolf von Altena-Berg schleift die alte Isenburg und baut 1226 – so eine verbreitete Auffassung – u.a. das Haus Baldeney, wohl in der Hoffnung, von dort Vogteirechte über Abtei und Stift ausüben zu können.

Diese Hoffnung erfüllt sich aber ebenso wenig wie zunächst gleichgerichtete Bestrebungen des Kölner Erzbischofs und auch des Dietrich von Isenberg, eines Sohnes des Meuchelmörders, der zu diesem Zwecke oberhalb von Rellinghausen 1241 die neue Isenburg errichtet. Ab 1244 allerdings regiert dann doch der Kölner Erzbischof Conrad von Hochstaden mit von ihm eingesetzten Vögten über das Essener Stift und die Abtei in Werden. Aber schon 1288 besiegt der mit der Reichsstadt Köln verbündete rheinische und westfälische Adel bei Worringen den Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg.

Damit endet praktisch die lange Vorherrschaft des Kölner Erzbischofs über Essen. Und im näheren Bredeneyer Umfeld wird die neue Isenburg zerstört, die während der vergangenen 50 Jahre dem Kölner Erzbischof und dessen Vögten als Stützpunkt gedient hatte.

 

Sage: Die Kluse im Stadtwald

Die beiden ersten Sagen, die wir erzählen wollen, handeln von der Kluse, die historisch seit Ende des 13. Jahrhunderts als Klausnerei für Schwestern des Essener Stifts verbürgt, der Sage nach aber schon 1226 nach dem Mord am Kölner Erzbischof errichtet ist. Hier die erste Sage über die Kluse im Stadtwald:

„Engelbert der Heilige war gefallen. Die ruchlose Hand seines Vetters hatte ihn meuchlings zu Tode gebracht. Wie ein Sturmwind ging die Nachricht davon durch den Ruhrgau hin und weiter durch das ganze deutsche Land. Trauer und Entrüstung herrschten allerwärts, Flüche und Verwünschungen gingen dem Mörder nach, und sie klangen auch hinüber zu der stolzen Gräfin Isenberg.

Sie war eine Verwandte des Mörders und saß in Gram auf ihrem Schlosse. Ihr Herz war so voll Leid. Sie konnte es nimmer fassen, daß ein Edler ihres Stammes sich zu solcher Tat vergessen hatte. Immer wieder sah sie ihn vor sich mit der Mordwaffe in der Hand und dann, wie er bleichen Angesichtes und gesenkten Hauptes vor dem Henker stand. Ihre Ruhe war dahin. Es gab nur einen Weg für sie. Sie wollte Buße tun für seine böse Tat, sie wollte sühnen für den Mörder, der nun nicht mehr sühnen konnte, weil er schon vor Gottes Richtstuhl stand.

So verließ sie ihr schönes Schloß, entsagte der Welt und begab sich in die Einsamkeit. Sie wanderte die Ruhr entlang, den rechten Ort zu suchen. Bei Rellinghausen fand sie ihn. Dort dehnte sich ein dichter, weiter Wald, den selten nur eines Menschen Fuß betrat. Es war darin so still und feierlich, daß sie die Nähe Gottes ahnte. Hier schlug sie ihren Wohnsitz auf. Sie ließ sich eine kleine Kirche bauen und neben ihr eine Kammer oder Kluse. In diese ward die Gräfin auf ihren eigenen Wunsch hin eingemauert. Nur eine kleine Öffnung blieb, damit sie zum Altare sehen und Speise und Trank empfangen konnte. Und sie lebte hier in ihrer kleinen Zelle in strengster Einsamkeit bei Fasten und Gebet. Nur ein Priester weilte in der Nähe, der den heiligen Dienst versah und ihrer Seele Beistand leistete. In dieser Kluse starb die Gräfin auch und wurde dort begraben.

Nach ihrem Tode blieb das kleine Heiligtum bestehen und kam zu hohen Ehren. Fromme Beter wallten allezeit dorthin, als aber im Mittelalter die Pest unsere Gegend schwer bedrohte, wollte die Zahl der Pilger, die zur Kluse zogen, schier kein Ende nehmen. Sie alle flehten hier zu dem heiligen Nothelfer Ägidius um Abwendung der Gefahr.“

Text „Die Kluse im Stadtwald“, aus: H. Vos und M. Weinand, Essener Sagenbuch. Sagen aus Essen und Umgebung, Essen 1914, S. 11-13)

 

Sage: Die Kluse oder: Die Pest in Essen

„Die Kluse” oder: „Die Pest in Essen“: Davon erzählten die letzten Sätze unserer ersten Sage. Unsere nächste Sage – etwa aus dem 16. Jahrhundert – handelt genau davon:

“Über Essen war  eine große Pest hereingebrochen. Viele Hunderte von Menschen wurden von dieser schrecklichen Krankheit befallen.

Auch eine Stiftsdame des Essener Stiftes erkrankte daran. Die Äbtissin berief eine Sitzung ein. Was sollte man tun? Da meldete sich eine alte und weise Stiftsdame zu Wort: ‚Ich erinnere mich an ein Geschehen, welches viele Jahre zurückliegt. Da hat sich eine Frau aus Reue im kleinen Kirchlein im nahen Wald, welches dem heiligen Ägidius geweiht ist, einmauern lassen. Dort wäre vielleicht auch der richtige Ort für Schwester Mathilde, um Hilfe von Gott zu erbitten. Außerdem könnte sie dann auch immer dem Gottesdienst zuhören.‘

Die Äbtissin erhob sich und sagte: ‚Dein Rat ist gut und weise, wir werden Mathilde befragen, ob sie einverstanden ist.‘

Als diese zusagte, wurde beraten, wie man es fertigbringen könnte, die Dame, ohne daß die ohnehin schon geplagten und mutlosen Bürger von Essen es bemerkten, aus der Stadt zu bringen. Schließlich kam man überein, daß in der Nach ein ebenfalls von der Krankheit befallener Bauer die erkrankte Stiftsdame, auf seinem Wagen versteckt, nach außerhalb der Stadtmauern zur Kluse bringen sollte.

Als es dunkel geworden war, erschien der Bauer mit seinem Wagen auch wirklich an der Hintertür des Stiftsgebäudes. Nur mit dem Nötigsten versehen legte sich Mathilde auf den Wagen und wurde mit einer Decke zugedeckt.

Ohne Schwierigkeiten kam der Bauer mit dem Wagen vor die Mauern der Stadt und nach mehrstündigem Weg auch zur Klusenkapelle. Die Stiftsdame stieg ab und begab sich in den gleichen kleinen Anbau, in dem Jahre zuvor die Verwandte des Grafen von Isenberg gebüßt hatte. Wie verabredet, mauerte der Bauer nun die kleine Öffnung zu.

Da sagte Mathilde: ‚Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet, kann dir aber nichts Irdisches dafür geben. Gott beschütze dich und heile dich von der Pest.‘

Noch lange betete die Schwester für den Bauern und für alle anderen Pestkranken.

Und wirklich, wie durch ein Wunder wurde kurze Zeit später die Stadt von der Pest befreit, doch Mathilde war schon vorher von Gott zu sich geholt  worden.“

Text „Die Kluse“ oder: „Die Pest in Essen“, aus: Von Raubrittern und Kobolden. Sagen und Märchen des Ruhrgebietes, hrsg. vom KVR, Essen 1984, S. 12-14.

 

Bericht: Die große Prozession

Die nun folgenden Berichte hängen mit der Markuskapelle zusammen, die 1775 wegen Baufälligkeit für Gottesdienste geschlossen und 1803 abgerissen worden ist. Auf der anderen Straßenseite entsteht 1883 die Kirche St. Markus. An den alten Kapellenort erinnert bis 1954 das Markuskreuz, seit 1962 ein Gedenkstein.

Berühmt wird die Markuskapelle im Mittelalter durch ein jährliches Großereignis: Am Kreuzungspunkt der Wege von Werden, Kettwig, Rellinghausen und Essen findet am Montag in der Bittwoche vor Christi Himmelfahrt nachweisbar seit 1317 der Bredeneyer Jahrmarkt statt, mit einem Marktfrieden drei Tage zuvor und drei Tage hernach. Der Jahrmarkt aber ist zugleich Kirmes, also Kirchmesse, und so wurde er zugleich Mittelpunkt einer feierlichen Prozession. Der Konvent des Stiftes Essen zog an diesem Tage unter Vorantragung eines Kreuzes und der goldenen Muttergottes zunächst zur zwischen heutiger Flora und Alfredusbad gelegenen Linde, wo die Ankunft des Konventes des Frauenstiftes Rellinghausen erwartet wurde. Dann zog man nach stillem Gebet und Fürbitte für die Toten gemeinsam zur Markuskapelle, wo sich der Abt von Werden mit seinem Gefolge einfand. Dort wurde gemeinsam nach alter Vorschrift eine feierliche Messe gehalten, und zuletzt erfolgte eine gegenseitige Bewirtung: der Abt bewirtete die Essener und Rellinghauser Damen auf Kirchmanns Hof, die Äbtissin die anwesenden Geistlichen in der Kirche selbst. Gleichzeitig feierte auch die Bredeneyer Nachbarschaft ihr althergebrachtes Gildenfest, mit der Kerzenspende an die Toten und dem Opfer für die Armen.

 

Man kann verstehen, wenn sich zu dieser Feier die Leute aus der Umgegend in großen Scharen eingefunden hatten. Es entwickelte sich ein reges Leben und Treiben. Spaßmacher, Gaukler und Kaufleute machten gute Geschäfte. 1372 hatte Graf Engelbert von der Mark für diese Festlichkeit eigens den Bierausschank, Markt und Handel erlaubt. Aber bald kamen Ausschreitungen vor, und statt der Prozession, die Gott um das Gedeihen der Feldfrüchte anflehen sollte, kam es den meisten Teilnehmern darauf an, hier in lustiger Weise sich ausleben zu können. Schon im 16. Jahrhundert wird geklagt, dass aus der Kapelle ein Kaufhaus geworden sei, dass das Feiern wichtiger geworden sei als das Beten.

Text aus zwei Quellen zusammengestellt: Robert Jahn, Streiflichter auf die Geschichte der Ortschaft Bredeney und Rheinisch Westfälischer Anzeiger vom 6.4.1915 (Die große Prozession)

 

Bericht: Die Sache mit dem überaus lieblichen Duft

In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wollte Otto von Gennep, der Propst und damit zugleich Verwalter von St. Maximin in Trier und auch der Abtei in Werden war, die Markuskapelle in Bredeney erweitern und zu einer Propstei ausbauen. Darüber geriet er mit seinem Bruder, dem Erzbischof von Köln, in Streit. Als Otto sich auf dem Wege von Trier zum Kloster nach Werden befand, wurde er von seinem Bruder – schnöde, aber zeitgemäß – mit seinem ganzen Schatz, wie es heißt, aufgehoben, elend gefangen genommen und all seines Geldes und aller wertvollen Gegenstände beraubt.

Otto erkrankte schwer in der Gefangenschaft, erlebte danach zwar noch die Erweiterung der Markuskapelle, zur Errichtung einer Propstei kam es aber nicht mehr. Otto starb im Jahre 1361 und wurde in der Krypta der Kapelle in einem Bleisarg beigesetzt. Damit hatte er aber noch nicht seine ewige Ruhe gefunden.

Etwa 200 Jahre später forschte man nach dem Grabe des verblichenen Propstes und fand es in der unterirdischen Krypta. Als man den Bleisarg öffnete, drang aus demselben ein so starker und lieblicher Duft, dass alle Umstehenden davon ergriffen wurden. Sie erblickten den heiligen Mann, der nun schon über 200 Jahre unversehrt dort gleichsam im Schlafe lag und in der linken Hand ein Buch hielt. Den Abt Hermann ergriff ob der Unversehrtheit der Leiche große Furcht, und er befahl, das Grab wieder schnellstens zuzuwerfen. Pastor Paul Bruin, ein frecher und stolzer Mönch aus Neukirchen, aber war anderer Meinung. Er trat an den Sarg und indem er rief: „Herr, ihr beißet nicht“, fasste er den Bart und das Haupt des Verstorbenen in unehrbietiger Weise an. Im gleichen Moment fiel der ganze, bis dahin noch unversehrt scheinende Körper zusammen und löste sich in Asche auf.

Das war den Umstehenden denn nun doch der Zeichen und Wunder genug. Ergriffenheit und ein nicht minder unbehagliches Gefühl ob der teils frechen, teils frommen Ereignisse befiel die Umstehenden und man hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Sarg wieder zu schließen und dem heiligen Manne nun endlich Ruhe zu geben. Der sehr liebliche und angenehme Duft, der aus dem geöffneten Sarge gestiegen war, hielt noch mehrere Tage an. Danach kamen die Gläubigen noch viele Tage an diesem Ort zusammen, um in frommer Ehrfurcht des Ereignisses zu gedenken.

Und so verneigen auch wir uns vor den Geschichten des Bredeneyer Mittelalters, von deren Duft wir heute Abend ein wenig vermitteln wollten.

Text zusammengestellt aus Hugo Rieth, Essener Kapellen. Geschichten und Legenden, 1997, S. 75 und Heimatstadt Essen, 29 (1979)

"100 Jahre Eingemeindung nach Essen"

Am 1. April 1915 wurde Bredeney nach Essen eingemeindet, nachdem es 1902 selbstständige Bürgermeisterei geworden war. Das 100-jährige Jubiläum gab dem Heimat- und Kulturverein „Bredeney aktiv“ Anlass zu zwei Veranstaltungen: In einem offiziellen Festakt am 15. April 2015 im Festsaal des alten Bredeneyer Rathauses sprach der Leiter des Hauses der Essener Geschichte/Stadtarchiv,  Dr. Klaus Wisotzky zum Thema „Wie Bredeney zu Essen kam – Die Eingemeindung vor 100 Jahren“.

Die zweite Veranstaltung, das Bürgerfest am 30. Mai 2015 im Evangelischen Gemeindezentrum Am Brandenbusch, stand unter dem Generalthema „1902 bis 1915. Das selbstständige Bredeney“. Zunächst hielt Dr. Jürgen Lindenlaub einen von Hans-Ulrich Philipsenburg bebilderten Vortrag zu diesem Thema. Es folgten Sketche des Grashof Gymnasiums und der Meisenburgschule  zu „Bredeney einst und jetzt“ und abschließend Darbietungen der Bläserklasse des Grashof Gymnasiums, des Bläserkreises der Ev. Kirchengemeinde Essen-Bredeney und  der „Lerchen“ der Graf-Spee-Schule mit Senioren unter dem Motto „Musikalische Lebenswelten in Bredeney vor 100 Jahren“.

Die Vorträge von Klaus Wisotzky, „Wie Bredeney zu Essen kam – Die Eingemeindung vor 100 Jahren“, und Jürgen Lindenlaub, „Bredeney in der Zeit der selbstständigen Bürgermeisterei 1902 bis 1915“ finden sie hier.

Wie Bredeney zu Essen kam – Die Eingemeindung vor 100 Jahren

Vortrag bei der Festveranstaltung von „Bredeney Aktiv“ zur 100-jährigen Wiederkehr der Eingemeindung von Bredeney nach Essen am 15. April  2015 im historischen Saal des Bredeneyer Rathauses von Dr. Klaus Wisotzky.

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Es ist der Landrat mit seinem Kind.

Er hat sein Bredeney wohl in dem Arm,

Er faßt es sicher, er hält es warm.

„Mein Kind, was birgst Du so bang Dein Gesicht?“

„Siehst, Vater, Du die Assindia nicht?

Mit der goldenen Kette den Holle auch?“

„Mein Kind, das ist der Kruppsche Rauch.“

 

„Willst, liebes Kind, Du nicht zu mir kommen?

Wirst freundlich und gerne aufgenommen.

Du liebes Kind, sei gescheit!

Du bekommst es noch besser als Rüttenscheid.“

 

„Mein Vater, mein Vater, und hörst Du nicht,

Was mir Assindia leise verspricht?“

„Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind,

Was Du dort hörst, das ist nur der Wind!“

 

„Willst, feines Kind, Du mit mir gehen?

Meine Beamten sollen Dich warten schön,

Mein Schmidt legt Dir mit geschickter Hand

Die schönsten Straßen durch all Dein Land.“

 

„Mein Vater, mein Vater, und siehst Du nicht dort

Schmidt, Holle und Brandi? Jag‘ schnell sie fort!“

„Mein Sohn, du irrst, laß die Leute dort laufen!

Das sind drei Berliner, die Land hier kaufen.“

 

„Ich liebe Dich, mich reizt Deine schöne Gestalt;

Und bist Du nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt.“

 

„Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt sie mich an!

Assindia hat mir ein Leids getan!“

Den Landrat grauset’s, er reitet geschwind,

Kommt glücklich zum Kreishaus mit seinem Kind,

Dort greift er zur Zeitung – doch was steht da?

Gartenstadt Bredeney GmbH.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Sie haben alle die Vorlage erkannt für die launigen Verse, mit denen Justizrat Altenberg auf der Eingemeindungsfeier von Rellinghausen das Bemühen von Assindia, sprich der Stadt Essen, um die Bürgermeisterei Bredeney beschrieb. Es bedurfte eines langen Atmens, bis sich die Absichten des Oberbürgermeisters Erich Zweigert und seines Nachfolgers Wilhelm Holle, assistiert von den Beigeordneten Paul Brandi und Robert Schmidt, realisieren ließen. Welche Widerstände sie zu überwinden hatten, wie die Verhandlungen abgelaufen sind, warum Essen letztendlich Erfolg hatte, was es mit den drei Berlinern und der Gartenstadt Bredeney GmbH auf sich hat – dies sind die Themen meiner Ausführungen in den nächsten gut 40 Minuten, doch sehen Sie es mir nach, dass ich es gar nicht wie Altenberg in Versen versuche, sondern nur in schlichter Prosa rede.

Da Bredeney das Objekt der Begierde, die Stadt Essen hingegen die treibende Kraft war, gilt es zunächst, deren Eingemeindungsbestrebungen zu betrachten.

Essen hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Bevölkerungszuwachs sondergleichen zu verzeichnen. Aus dem kleinen unscheinbaren Landstädtchen mit gerade einmal 7000 Einwohnern im Jahre 1843, durch das der städtische Hirte das Vieh auf die Weide im Segeroth trieb, war 25 Jahre später bereits eine Stadt mit 50.000 Einwohnern geworden, und noch einmal 25 Jahre danach machte die Geburt des 100.000 Einwohners die Kommune zur Großstadt.

Den Zustrom von Arbeitsmigranten im 19. Jahrhundert konnte die Stadt nur schwer verkraften. Es fehlte nicht nur an Wohnraum, um die Bevölkerungsmassen unterzubringen.

Um das Siedlungsproblem zu lösen und um genügend Raum für den koordinierten Ausbau der Infrastruktur zu schaffen, war es zwingend notwendig, „die würgenden Klammern“ des Landkreises zu sprengen. „Eine weitsichtige Bodenpolitik ist nur möglich“, konstatierte Oberbürgermeister Erich Zweigert, „wenn wir große, räumlich ausgedehnte und leistungsfähige Gemeinden haben.“ Aus diesem Grunde forderte er kategorisch: „Man beseitige die Vorortgemeinden, vereinige zu einem kommunalen Gemeinwesen, was ein wirtschaftliches Ganzes bildet.“ Zweigert strebte mit der Stadtvergrößerung nicht nur eine Lösung der genannten Probleme an, sondern er wollte die Industriestadt Essen, deren Charakter entscheidend von Krupp geprägt war, auch zum Verwaltungsmittelpunkt des Ruhrgebiets machen. Seine Bemühungen zeitigten erste Erfolge, als 1893 das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat, die Verkaufsorganisation des Ruhrbergbaus, und 1896 die Eisenbahndirektion in Essen gegründet wurden. Die Ansiedlung weiterer Behörden und Unternehmensverwaltungen, die Entwicklung der Stadt zu einem Dienstleistungsstandort, konnte aber nur erfolgreich sein, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorhanden waren: eine leistungsfähige Kommunalverwaltung, eine moderne Infrastruktur, gute Verkehrsanbindungen, ansprechende Wohngebiete, eine ausreichende Zahl an Bildungs- und Fortbildungseinrichtungen, vielfältige Kulturinstitute, nah gelegene Erholungsgebiete. Das alles ließ sich auf dem beschränkten Territorium von 882 ha nicht realisieren, zumal es im Westen von den Kruppschen Fabrikanlagen und im Norden und Osten von den Bergwerken und Bahnanlagen eingeschnürt war. Für seine auf die Zukunft gerichteten Pläne benötigte Zweigert Raum, nur so konnte Essen im Konzert der Großstädte mitspielen.

Doch der Widerstand gegen das weit vorausschauende Programm war heftig. Essen musste Schritt für Schritt vorgehen, um in langwierigen und mühseligen Verhandlungen zum Ziel zu gelangen. Denn bevor im Kaiserreich der preußische Landtag das entsprechende Gesetz erließ, hatten sich die beteiligten Kommunen über die Eingemeindungsbedingungen vertraglich zu einigen. So begann stets ein Verhandlungspoker, bei dem die Gemeinde, die ihre Selbstständigkeit verlieren sollte, eine gewisse Machtposition innehatte, deren sie sich auch bewusst war. Essen, das an der Ausweitung des Stadtgebietes so sehr interessiert war, sah sich stets gezwungen, der umfangreichen Wunschliste nachzugeben. Es musste weitreichende Zusagen machen und schwere finanzielle Belastungen auf sich nehmen.

Im Falle Rüttenscheid – worauf der Justizrat Altenberg anspielte – versprach Essen die Pflasterung von Straßen, den Bau eines Brausebades, die Errichtung eines Wochenmarktes, die Anlage eines großen öffentlichen Platzes, den Ausbau des Progymnasiums und – besonders wichtig – die Beibehaltung der niedrigen Rüttenscheider Steuersätze für die kommenden fünf Jahre. Der Oberbürgermeister beklagte denn auch die Gesetzeslücke, die die Stadt zu solchen Handelsgeschäften nötige. Doch die Kritik an den zu teuren Zugeständnissen, die einige Stadtverordnete äußerten, wies er zurück. Wenn auch der Preis zu hoch ausfiele, so müsse er dennoch „höherer Gesichtspunkte“ wegen gezahlt werden. Denn nur auf diese Weise könne das, was zusammengehört, auch zusammengeführt werden. Nur auf diese Weise ließen sich die Pläne zur Stadterweiterung realisieren.

Die Eingemeindungen begannen 1901 mit der Bürgermeisterei Altendorf, also dem Essener Westen mit Frohnhausen und Holsterhausen. Es folgten dann 1905 Rüttenscheid, 1908 Huttrop und 1910 Rellinghausen. Der Landhunger der „Dame, Nimmersatt‘“ war damit noch längst nicht gestillt, sie strebte eine weitere Ausdehnung nach Süden an.

Aus zwei Gründen war die Bürgermeisterei Bredeney, die am 1. September 1902 noch unter dem alten Namen Zweihonnschaften aus der Landbürgermeisterei Kettwig ausgegliedert worden war – die Umbenennung erfolgte ein halbes Jahr später durch königliche Genehmigung vom 20. Februar 1903 –, für die Stadt Essen von Interesse:

  1. In der 1684 ha großen Bürgermeisterei, wo 1910 lediglich 8456 Einwohner lebten, war noch genügend unbebauter Grund und Boden für neue Siedlungen in reizvoller Lage vorhanden.
  2. – und dies fiel noch mehr ins Gewicht – residierte nicht nur Krupp auf dem Hügel, sondern hier waren auch andere betuchte Bürger zu Hause. Essener Fabrikanten und Kaufleute hatten in Oberbredeney ihre Villen gebaut, nicht nur, weil die Landschaft hier so schön war, sondern auch bzw. vor allem deswegen, weil Bredeney eine Steueroase war.

Der Vertrag mit der Stadt Essen im Jahre 1895, wonach der Gemeinde 1/8 der Einkommensteuer der Familie Krupp zufiel, spülte reichlich Geld in die Gemeindekasse. Das Steueraufkommen stieg von 20.000 M im Jahre 1890 über 136.000 im Jahre 1900 auf 540.000 M im Jahre 1910. Dadurch konnte der Steuerzuschlag auf die staatliche Einkommensteuer, den jede Kommune eigenständig festlegte, ständig herabgesetzt werden. Er fiel von 170% im Jahre 1890 auf 120% im Jahre 1910, während in Essen ein Zuschlag von 200% gezahlt werden musste. Für Essen war ein solch niedriger Satz natürlich ein Dorn im Auge, stellte er doch für weitere „wohlhabende Steuerzahler“ einen „großen Anreiz“ dar, nach Bredeney zu ziehen. „Es würde in sozialer Beziehung verhängnisvoll erscheinen“, ist in der Denkschrift für den Provinziallandtag zur Eingemeindung zu lesen, „wenn sich in Bredeney dank seiner landschaftlich bevorzugten Lage und seiner günstigen steuerlichen Verhältnisse eine Vorstadt bildete, in der die Arbeitgeber, die höheren Beamten und der sonstige wohlhabende Teil der Bevölkerung des Industriegebiets sich zusammenfänden, während die Stadt Essen selbst mit ihrem industriellen Norden zu einer reinen Arbeiterstadt herabgemindert würde.“

Die Stadt Essen hatte aber bei ihren Eingemeindungsbemühungen zwei mächtige Widersacher: den Essener Landrat – er hat sein Bredeney wohl in dem Arm – und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach. Ersterer war stets voller Sorge, „dass der Kreis in unerwünschter Weise zerrissen und verkleinert würde“. Seines Erachtens waren die „Landkreise nur dann lebensfähig und in der Lage ihre Aufgaben neben den großen Städten zu erfüllen, wenn sie in ihrem Bestande nicht zu sehr verkleinert werden.“ Er hatte sich immer wieder gegen die Ausdehnung der Großstadt Essen ausgesprochen und tat das insbesondere im Falle der finanzstarken Bürgermeisterei Bredeney, der „Perle“ seines Landkreises. Ebenso hatte sich Gustav Krupp von Bohlen und Halbach dem Vorhaben der Stadt verweigert. Noch im Mai 1910 sah er keine Notwendigkeit für eine Vergrößerung des Essener Stadtgebietes, sondern plädierte bei einer Besprechung beim Regierungspräsidenten für eine enge Zusammenarbeit der Gemeinden mit der Stadt „in Fragen der Verkehrspolitik, der Straßenfluchten und dergl.“.

Wie konnte nun der Widerstand des Landrats und des Konzernherrn überwunden werden? Bevor wir zur Beantwortung dieser Frage kommen, müssen wir uns noch einmal den allgemeinen Eingemeindungsplänen der Stadt widmen.

Bei den bisherigen Gebietserweiterungen standen immer vier Aspekte im Vordergrund: der Erwerb von Land zu Siedlungszwecken, die bessere Durchführbarkeit von Infrastrukturmaßnahmen, die Verhinderung der Steuerflucht und die Schaffung eines stadtnahen Erholungsgebietes im Süden der Stadt. Essen fehlte es aber nicht nur an Land für Wohnungen, sondern auch an neuen Industriearealen. Da keine Industriegrundstücke mit Bahnanschluss vorhanden waren, entschied das traditionsreiche Blechwalzwerk Schulz-Knaudt im Dezember 1907, sein neues Stahlwerk in (Duisburg)-Huckingen zu bauen. Auch für Krupp bot der neue Standort am Rhein in Rheinhausen eine Alternative zum Heimatort. Es herrschte also aus Sicht der Stadtoberen dringender Handlungsbedarf. Weil der Essener Süden nach den Planungen Robert Schmidts weitgehend industriefrei bleiben sollte, musste der Blick nach Norden gerichtet werden, nach Borbeck und Altenessen. Hier gab es noch genügend unbebaute Flächen für industrielle Produktionsstätten. Ein weiterer Aspekt kam hinzu. Die sich über Jahrzehnte hinziehenden Planungen für den Bau eines Kanals vom Rhein Richtung Osten waren 1904 endlich abgeschlossen worden. Mit der Fertigstellung der neuen Wasserstraße war zum Jahre 1914 zu rechnen. Essen wollte diesmal nicht wie beim Bau der Eisenbahn ins Hintertreffen geraten, sondern frühzeitig einen städtischen Hafen errichten. Das dazu geeignete Gelände lag aber in der Gemeinde Borbeck. Die Stadt wollte die Investitionen, die auf etwa 10 Mill. Mark veranschlagt worden waren, auf keinen Fall auf nicht stadtzugehörigem Gebiet tätigen. Eine Eingemeindung von Borbeck verursachte aber nicht nur hohe Kosten, da die Steuereinnahmen in der Nachbargemeinde gering ausfielen, während die Sozialausgaben sehr hoch waren. Sondern sie verschob auch die politischen Gewichte in der Essener Stadtverordnetenversammlung, da damit zu rechnen war, dass in Borbeck vor allem Zentrumsleute gewählt würden. Dieser Verschiebung der politischen Machtverhältnisse wollte die bestimmende nationalliberale Mehrheit nicht hinnehmen, weshalb sie sich der Angliederung von Borbeck widersetzte.

Einen Ausweg aus dem Dilemma sahen die Verantwortlichen darin, die Eingemeindungen von Altenessen, Borbeck und Bredeney zu einem Gesamtpaket zu schnüren. Das hatte zwei gewichtige Vorteile:

  1. Die reiche Bürgermeisterei Bredeney brachte einen gewissen Ausgleich zu den finanziellen Aufwendungen, die bei der Eingemeindung von Borbeck und Altenessen erforderlich waren.
  2. Bredeney und Altenessen, in denen die Nationalliberalen dominierten, glichen den politischen Zuwachs des Zentrums aus, so dass die Mehrheitsverhältnisse in der Stadtverordnetenversammlung stabil blieben oder, wie Holle es formulierte, auf diese Weise werde der „Gefahr vor starker Demokratisierung der Stadtvertretung“ durch das Hinzutreten der Borbecker Zentrumsleute vorgebeugt.

Doch bevor die Stadt ihre Pläne umsetzen konnte, musste Gustav Krupp von Bohlen und Halbach umgestimmt werden. Vertrauen wir den Erinnerungen des Beigeordneten Paul Brandi, gelang dies durch zwei Grundstücksgeschäfte, die er mit Ernst Haux, dem Kruppschen Direktor für Finanzen und Personal und engem Vertrauten des Konzernchefs, der auch seit dem 10. Dezember 1900 Mitglied der Essener Stadtverordnetenversammlung war, aushandelte:

 

  1. Die Stadt Essen hatte  große Gebiete zur Anlegung eines Stadthafens in der Nähe des Kanals angekauft. Nach Angabe von Brandi war dies aber auch geschehen, weil die Stadt von den Überlegungen Krupps wusste, in diesem Bereich möglicherweise ein neues Stahlwerk zu bauen. Sie wollte dem Unternehmen zuvorkommen, das es bis dato versäumt hatte, sich ein geeignetes Gelände zu sichern.
  2. In Bredeney griff die Stadt auf eine Strategie zurück, die sie bereits in Rüttenscheid angewandt hatte. Hier hatte sie mehr als 10% der Grundstücke in ihren Besitz gebracht, umso die weitere Entwicklung der Nachbargemeinde zu stören. So sollte der Widerstand gegen die Eingemeindung gemindert werden. In ähnlicher Weise ging die Stadt auch in Bredeney vor, doch in diesem Fall trat sie nicht direkt als Käufer auf, sondern überließ es der von ihr gegründeten Berlin-Bredeneyer Gartenstadtgesellschaft. So zogen die „drei Berliner“, die Altenberg erwähnt, durchs Land, und zahlreiche Grundstückseigentümer verkauften ihren Besitz der Gartenstadtgesellschaft, „ohne zu wissen, dass die Anteile dieser Gesellschaft an die Stadt Essen abgetreten waren“.

Nachdem sich Essen die Grundstücke in Borbeck und Bredeney gesichert hatte, machte Brandi Haux das Angebot, 50% der städtischen Besitzungen im Norden und Süden an Krupp abzutreten, sofern Gustav Krupp seine Zustimmung zur Eingemeindung von Bredeney gebe.

Haux signalisierte bereits das Einverständnis des Kruppschen Direktoriums, und so ging als erstes die Gartenstadtgesellschaft, die 600 Morgen Land angekauft hatte, 1910 in den alleinigen Besitz der Stadt Essen und der Familie Krupp über. Als die Verträge am 12. März 1910 im Stadtparlament beraten und somit der Öffentlichkeit bekannt wurden, war die Essener Presse voll des Lobes über das strategisch geschickte Vorgehen:

„Auch der Feind aller Annäherungsbestrebungen zwischen Essen und Bredeney wird nicht umhin können, den leitenden Persönlichkeiten in der Essener Stadtverwaltung seine Hochachtung zu zollen. Mit einer geradezu imponierenden Zähigkeit werden in den letzten Jahren vom Essener Rathaus aus alle Pläne verfolgt, die auf ein wirkliches, in sich geschlossenes und kommunalwirtschaftlich geeinigtes Groß-Essen hinzielen. … Was nicht auf dem gewöhnlichen Wege erreicht werden konnte, das hat man einmal auf ganz neue Art und Weise versucht.“ Bestes Beispiel sei das Bredeneyer Gartenstadtprojekt. Durch dieses „wirklich geniale Projekt“ sei eine „Interessengemeinschaft zwischen Herrn Krupp von Bohlen und der Stadt Essen“ geschaffen worden, was für die Rheinisch-Westfälische Zeitung das „Wichtigste“ war.

Wenngleich nun eine besondere „Interessengemeinschaft“ entstanden war, so hatte Gustav Krupp noch nicht sein Plazet zur Eingemeindung erteilt. Als der Landrat Hans von Eynern im September 1910 eine Denkschrift „Kommunale Aufgaben des Landkreises Essen“ vorlegte und darin eine stärkere kommunalpolitische Betätigung des Kreises – beispielsweise die Gründung einer Kreissparkasse – vorschlug, sprach sich Krupp zwar vehement gegen diese Pläne aus, weil sie gegen die Stadt Essen gerichtet wären. In seinen Augen war es „unverantwortlich“, „in feindlicher Konkurrenz gleichartige Einrichtungen ins Leben [zu] rufen“. Er wiederholte jedoch bei dieser Gelegenheit sein Plädoyer für eine vertrauensvolle Kooperation zwischen Essen und den Gemeinden. „Für beide Teile erscheint es mir nach reiflicher Überlegung nach allen Richtungen hin besser, für beide Teile bleiben die Entwicklungsmöglichkeiten für die Zukunft offener und ungefährdeter und für beide Teile wird die Ausführung der gemeinschaftlich als notwendig und nützlich erkannten Pläne weniger kostspielig werden, wenn beide Teile sich auf den Gebieten, die sie berühren, freundschaftlich miteinander vereinbaren.“ Ein Anschluss Bredeneys nach Essen sei dann nicht erforderlich. In diesem Sinne informierte Gustav Krupp auch den Regierungspräsidenten und den Oberpräsidenten.

Doch das Direktorium vermochte ihn umzustimmen. Am 6. März 1911 legte es ein Memorandum vor, in dem es für die sofortige Eingemeindung von Altenessen, Borbeck und Bredeney plädierte, da der Zeitpunkt wegen der Zusammensetzung der parlamentarischen Gremien „besonders günstig“ sei. Dagegen könne das Inkrafttreten des neuen Zweckverbandgesetzes ebenso wie die angekündigten Ausbaupläne des Landrates Fakten schaffen, „die unter Umständen später einmal unüberwindlich sind“. Als Gründe, warum die Eingemeindung „auf die Länge der Zeit betrachtet, die gesunde und natürliche, den Interessen der Familie und Firma Krupp am meisten entsprechende Entwicklung“  wäre, führte das Direktorium u.a. an:

  1. Für den Bau von neuen Arbeiterwohnungen sei das jetzige Stadtgebiet im Norden und Nordwesten „in unerwünschter Weise beengt“. „Eine Erweiterung [nach Altenessen und Borbeck würde] daher wesentlich günstigere Vorbedingungen schaffen.“
  2. Bei der Weiterentwicklung des Werkes in den Norden hinein werde man es dann nicht „mit fremden Gemeinden zu tun haben, die ganz überwiegend von Dritten beherrscht werden, sondern die kommunalen Einflüsse, die uns in der Stadt Essen zur Verfügung stehen, [können auch] auf diese Gebiete“ ausgedehnt werden“.

Fazit: „Für alle zu treffenden Entschließungen (z.B. über den Ankauf und die Verwendung von Grundstücken, über Neuanlagen usw.) [werde] die Beseitigung der Gemeindegrenze Essen-Borbeck die Bewegungsfreiheit der Firma in erwünschter Weise erweitern.“  Das Direktorium verschwieg dem Konzernherrn aber nicht, dass „die mit Borbeck … und Altenessen hinzutretenden Steuerkräfte unseren bisherigen kommunalen Einfluss in Essen unzweifelhaft verwässern“. Daher sei es „von unserem Standpunkt aus – ebenso wie von dem der Essener Stadtfinanzen – nötig, zu unseren Gunsten künftig die Reserve mit in die Waagschale zu werfen, die in Ihrer Bredeneyer Steuerkraft bisher noch enthalten ist.“ Gustav Krupp ließ sich von der Argumentation überzeugen und zeichnete am 14. März das Schriftstück zustimmend ab.

Erleichtert wurde ihm dieses Zugeständnis durch die teilweise Überlassung des zuvor von der Stadt angekauften Hafengeländes in Borbeck und durch einen Geheimvertrag, der der Hügelverwaltung ein Veto- bzw. Mitspracherecht bei der Bebauung in Bredeney einräumte. In diesem am 16. August 1911 zwischen der Stadt, der Kruppschen Verwaltung auf dem Hügel und der Gartenstadt GmbH geschlossenen Vertrag wurde – ohne Information oder gar Anhörung der Stadtverordnetenversammlung – vereinbart:

§ 3 Im Interesse der Schaffung eines vornehmen Wohnviertels vereinbaren die Vertragsschließenden, dass alle Festsetzungen über die Art und Gestaltung der Bebauung innerhalb des der Gartenstadtgesellschaft gehörigen Geländes, also insbesondere die betreffende Bebauungs- und Fluchtlinienpläne, Ortsstatute und Baupolizei-Verordnungen, der schriftlichen Zustimmung der Hügelverwaltung bedürfen.

§ 4 Aus demselben Grunde wird die Stadtgemeinde auch für den übrigen Teil der Gemeinde Bredeney … bei den im § 3 erwähnten Verwaltungsmaßnahmen nach Möglichkeit im Einvernehmen mit der Hügelverwaltung vorgehen. Ferner wurde festgeschrieben, dass in Bredeney keine „gewerbliche Anlagen, deren Betrieb mit Rauchentwicklung, üblen Gerüchen oder störenden Geräuschen verbunden ist, … errichtet“  und dass die bestehenden Waldgebiete nicht zur Bebauung freigegeben werden.

Besonders wichtig war der § 9, in dem festgelegt wurde, dass „die im Jahre 1911 geltenden Steuerzuschläge für die jetzigen Bewohner der Gemeinde Bredeney und ihre Rechtsnachfolger bis zum 1. April 1926 Geltung“ behalten. 

Es waren ungewöhnliche Zugeständnisse, die die Stadtverwaltung einem Privatunternehmen machte. Nicht nur wurden die Steuersätze auf Jahre festgeschrieben, Krupp wurden zudem weitgehende Mitspracherechte bei der Bauplanung eingeräumt, die ansonsten der Stadtverordnetenversammlung oblag.

Nachdem sich Krupp und die Stadt geeinigt hatten, lenkte auch der Landrat ein, der erkannt hatte, dass weiterer Widerstand zwecklos war. Er fügte sich dem Unvermeidlichen, auch wenn eine Abtrennung Bredeneys nachteilig für den Kreis sei. Er wollte aber nicht mehr für den Erhalt seines Hoheitsgebiets kämpfen, da es doch, wie er resignierend feststellte, kein Kreisbewusstsein, kein Zusammengehörigkeitsgefühl und keine Einrichtungen gebe, „welche ein festes Band zwischen seinen Gemeinden herstellen“.

Auch bei den folgenden Verhandlungen mit dem Regierungs- und dem Oberpräsidenten zogen das Stadtoberhaupt und die Krupp-Direktoren Alfred Hugenberg und Heinrich Vielhaber an einem Strang. Oberbürgermeister Holle kritisierte dabei nochmals in scharfen Worten die Steuersätze in Bredeney: „Es könne niemand – auch die Staatsregierung nicht – ein Interesse daran haben, in Bredeney mit Hülfe der Krupp’schen Steuerkraft eine Oase mit niedrigen Steuern im Industriegebiet zu schaffen, wo wohlhabende Essener Bürger sich einer normalen Besteuerung entziehen könnten.“ So richtig seine Kritik an der Steueroase Bredeney auch war, so übertrieben und damit unglaubwürdig war seine geäußerte Furcht, „dass Essen durch Abwanderung wohlhabender Klassen nach Bredeney zur reinen Arbeiterstadt werde“. Hugenberg, der bestätigte, dass sich die Haltung von Krupp geändert habe, betonte, dass nun sowohl Gustav Krupp als auch die Firma die Eingemeindungen „dringend“ wünschten. Eine Werkserweiterung sei auch in Rheinhausen möglich, doch „aus historischen Gründen“ wolle man in Essen bleiben. Daher hätten sich auch die Stadt und Krupp ein 1000-Morgen großes Gelände am Rhein-Herne-Kanal gesichert. Ebenso bekundete Hugenberg, dass Krupp nun bereit sei, die von der Eingemeindung verursachte „sehr erhebliche persönliche steuerliche Mehrbelastung“ zu tragen, da er sich davon habe überzeugen lassen, „dass die Stadt Essen sowohl aus finanziellen wie aus kommunalpolitischen Gründen die Eingemeindung von Altenessen und Borbeck nur durchführen könne, wenn Bredeney mit eingeschlossen würde“. Die gleichzeitige Eingemeindung von Bredeney sei „die conditio sine qua non für die Eingemeindung von Borbeck und Altenessen.“

Nachdem die Besprechungen mit dem Regierungs- und Oberpräsidenten erfolgreich verlaufen waren, die Kommissare des preußischen Innenministers den Kreis bereist hatten und der Minister am 31. Oktober 1911 grünes Licht gegeben hatte, konnten die Gespräche mit den Bürgermeistereien beginnen.

Als erstes nahm die Stadt die Verhandlungen mit Borbeck auf, da diese als die schwierigsten angesehen wurden. Zu Recht, wie sich zeigten sollte, denn sie zogen sich endlos in die Länge, da Borbeck mit überzogenen Forderungen die Essener Delegation traktierte. Nicht ohne Grund schimpfte der Oberbürgermeister über die dortigen „verblendeten und törichsten Fädenzieher“. Erst am 14. Januar 1913 billigte der Gemeinderat den ausgehandelten Vertrag.

Es folgte dann Altenessen und zum Schluss Bredeney, da hier die wenigstens Probleme erwartet wurden.

Als die Eingemeindungspläne in Bredeney bekannt wurden, stießen sie auf den Widerstand von Teilen der Bevölkerung. Es bildete sich ein Bürgerausschuss für die Erhaltung der Selbstständigkeit der Gemeinde, und eine erste Versammlung fand am 25. Juli 1911 statt, die knapp 100 Personen besuchten. Der Hauptredner, Korrektor Schmidt, protestierte hier gegen den Essener „Vergewaltigungsversuch“, der durch das „raffinierte“ Vorgehen der Gartenstadt-Gesellschaft eingeleitet worden sei. Da die Versammlungsteilnehmer eine Steuererhöhung befürchteten, verabschiedeten sie unter der Parole „Sie sollen es nicht haben, das schöne Bredeney“ eine Resolution gegen den Anschluss nach Essen.

Der Bürgerausschuss blieb in der Folgezeit sehr aktiv, er organisierte weitere Versammlungen und sammelte Unterschriften. Gefordert wurde eine allgemeine, geheime Volksabstimmung nach Frintroper Muster, da „eine zwangsmäßige Beseitigung der Selbständigkeit der Gemeinde Bredeney gegen den ausgesprochenen Willen ihrer Bürger” erfolge.

In Frintrop, worauf sich die Bredeneyer bezogen, war der Widerstand gegen die geplante Angliederung nach Oberhausen so stark gewesen, dass der Regierungspräsident keinen anderen Ausweg sah, als eine Volksabstimmung durchführen zu lassen, bei der die Frintroper entscheiden konnten, ob sie nach Oberhausen oder nach Essen eingemeindet werden wollten. Doch eine solche Abstimmung wurde für Bredeney nicht zugelassen. Der Bredeneyer Bürgermeister bestritt auch, dass der Bürgerausschuss für die Mehrheit der Bevölkerung spräche. Diese stehe nach seiner Beobachtung der Eingemeindung „sympathischer als früher“ gegenüber.

Ungeachtet aller öffentlichen Diskussionen und Proteste begann das Eingemeindungsprozedere, bei dem zwei wichtige Vereinbarungen durch den angesprochenen Geheimvertrag bereits festgezurrt waren, nämlich:

1. die Festschreibung des niedrigen Steuerzuschlags von 110% – dieser galt aber nur für die bereits in Bredeney Wohnenden, alle Neuhinzuziehenden hatten den höheren Essener Steuersatz zu zahlen – und

2. die Entwicklung Bredeneys „zu einem Wohnviertel mit vorwiegend offener Bebauung, geräumigen Schmuckplätzen und eingestreuten Schönheitswäldern“.

Umstritten war bei den Verhandlungen lediglich die Zahl der Stadtverordneten, die in einem eigenen Wahlbezirk gewählt werden sollten. Essen bot vier, Bredeney forderte sechs, man einigte sich auf fünf. Des Weiteren versprach die Stadt den Ausbau des Realgymnasiums zur Vollanstalt, den Ausbau des Lyzeums, den Bau einer Badeanstalt, die Schaffung von Straßenbahnverbindungen und den Bau eines neuen Schulgebäudes.

Während die Verhandlungen ohne größere Kontroverse abliefen, sorgte die von der Staatsregierung geforderte Abtrennung Unterbredeneys und deren Eingliederung in die Stadt Werden für Unruhe bei der dortigen Bevölkerung. Eine Bürgerversammlung verabschiedete eine gegen die Abtretung gerichtete Resolution. Die Teilnehmer erklärten:  „Sie können sich, wenn eine Eingemeindung unumgänglich ist, nur mit der Eingemeindung der ganzen Gemeinde Bredeney nach Essen einverstanden erklären und würden im Zwangsfalle sich wohl mit der Bildung einer selbstständigen Gemeinde Unterbredeney, niemals aber mit der Eingemeindung nach Werden zufrieden geben.“ Obwohl nach den Beobachtungen des Bürgermeisters die Mehrheit der Unterbredeneyer diesen Standpunkt vertrat, blieb ihr Protest unbeachtet. Am 10. März 1914 wurde auch der Eingemeindungsvertrag mit Bredeney unterzeichnet. Essen hatte hier sein wichtigstes Anliegen, die Steueroase im Süden der Stadt zu beseitigen, erreicht.

Nachdem alle Verträge mit den beteiligten Kommunen und dem Landkreis unter Dach und Fach waren, konnte die Gesetzesberatung in Berlin erfolgen. Doch sehr zum Unmut Holles gab es noch einmal ein unvermutetes Störfeuer aus Bredeney. Der Bürgerverein Unterbredeney schrieb am 27. April 1914 an das Abgeordnetenhaus in Berlin und protestierte nochmals gegen die Auflösung Bredeneys. „Die Bürger Bredeneys empfinden die Eingemeindung als einen Gewaltakt, schon aus dem Grunde, weil sie bis zur Beschlussfassung im Gemeinderat ganz im Geheimen betrieben ist, d.h. ohne die Bürger auch nur im geringsten zu informieren. Ja, sogar die Gemeindeverordneten sind nicht über den Gang der Kommissionsverhandlungen informiert worden. Erst als der Vertrag fertig war, sind die Gemeindeverordneten zur Abstimmung über die Annahme des Vertrages zusammenberufen worden.“ Besonders scharf wurde die Abtretung Unterbredeneys an Werden kritisiert, weil die Stadt „sich in den letzten Jahrzehnten nicht nennenswert entwickelt [hat] und … zweifellos auch Unterbredeney in dieses stagnierende Entwicklungsverhältnis hineinziehen [wird]“.

Doch die Unterbredeneyer Petition hatte keinen Einfluss mehr auf die Beratungen in Berlin. Der Gesetzesentwurf war durch Allerhöchste Ermächtigung vom 26. Mai 1914 dem Landtag zugeleitet worden. Der Ausbruch des Krieges verhinderte aber seine sofortige Beratung. Erst im März 1915 konnte – dank massiven Interventionen von Krupp – das Gesetz ohne Vorberatung in einer Kommission verabschiedet werden. So wurde die Eingemeindung am 1. April 1915 vollzogen, am 100. Geburtstag des Eisernen Kanzlers, was man damals nicht versäumte zu betonen.

Gefeiert wurde Groß-Essen nicht. Die Kriegszeiten verboten es. Aber in der ersten Sitzung des vergrößerten Stadtrats wurden pathetische Reden gehalten, die ausklangen in den Worten des neuen Stadtverordneten Winnecken aus Borbeck: „So fest wie der Stahl, der hier gegossen, und so hart wie das Eisen, das hier geschmiedet wird, so fest und unzerreißbar sollen fortan die Bande sein, die, getragen von gegenseitigem herzlichen Vertrauen, uns umschlingen sollen. Uns alle, die wir jetzt zu Ihnen gekommen sind, von der Ruhr und der Emscher, uns alle beseelt nur der eine heiße Herzenswunsch, den ich ausdrücken möchte in dem Wort: Glück auf, Assindia, du Deutschlands gewaltige und unbezwingbare Waffenschmiede, du Stätte eisernen Fleißes und unwiderstehlicher Tatkraft, du Heimat echten Bürgersinns und treuester Vaterlandsliebe, sei du uns fortan Mutter, aber wahre Mutter, niemals Stiefmutter – dann werden wir auch dir stets treueste Töchter sein und bleiben!“

Mit der erfolgten Eingemeindung wuchs das Stadtgebiet mit einem Schlag um mehr als das Doppelte von 3.929 auf 9.748 ha und die Bevölkerungszahl vermehrte sich um etwa 130.000 auf 480.400. Essen baute damit seine Position als größte Stadt des Ruhrgebietes aus.

Ein jahrelanger Kampf hatte aus Sicht der Verwaltung ein glückliches Ende gefunden, denn die Stadt hatte nun den Raum, um die Vorstellungen von Robert Schmidt zu verwirklichen. Danach sollte der Essener Süden als Wohn- und Erholungsgebiet entwickelt werden, während dem Norden die Rolle als Industrie- und Arbeiterviertel zugedacht war. Dazwischen lag die Innenstadt mit den Verwaltungen, den Banken, den Freizeitstätten und den Einkaufsmöglichkeiten. Die Essener Stadtplaner feierten diese Aufteilung der Stadt als das „ideale Zukunftsstadtbild der Industriehochburg: die vollkommen abgerundete Industriestadt des Nordens, die monumentale Geschäftsstadt der Mitte und die gesunde, grünbekränzte Wohnstadt des Südens, alle drei Glieder vereinigt durch den Pulsschlag geeigneter Verkehrsadern zu dem Gesamtorganismus: Essen.“

Bredeney erfüllte seine Funktion als Wohnort für das reiche Bürgertum – aber wem erzähle ich das hier? Von den ausgehandelten Zusagen konnten die Bredeneyer nicht, wie erhofft, lange Zeit profitieren, denn der politische Umschwung im Jahre 1918 beseitigte nicht nur das preußische Dreiklassen-Wahlrecht, sondern auch die Persönlichkeitswahl. Nun stellten die Parteien eine Liste für das gesamte Stadtgebiet auf. Auch die Steuerzusagen hatten durch die Steuerreform in der Weimarer Republik keine Gültigkeit mehr. Zudem beschwerten sich 1925 die Bredeneyer Bürger über die „stiefmütterliche Behandlung durch die Stadtverwaltung“. Die Verwaltungsstelle sei aufgehoben worden und die versprochene Straßenbahnverbindung ausgeblieben. Sie bemängelten ferner, dass weder die Badeanstalt noch das neue Lyzeum gebaut worden wären. Letzteres kam dann aber einige Jahre später. Dennoch gab und gibt es in Bredeney nicht das Gefühl, von der Gesamtstadt benachteiligt zu werden, wie wir es beispielsweise in Borbeck antreffen. Über die Gründe, warum das so ist, will ich aber nicht weiter spekulieren.

Eigentlich hätte die Stadt Essen die Eingemeindungen vor 100 Jahren feiern müssen, denn sie konnte doch – wie erwähnt – ihre lang gehegten Vorstellungen realisieren. Stattdessen wird aber in den eingemeindeten Stadtteilen an das Ereignis erinnert, und zwar nicht in einer Protest- oder Trauerveranstaltung, sondern wie in der Einladung zu lesen ist, in einer Festveranstaltung. Ich sehe das als positives Zeichen an, dass sich die Bredeneyerinnen und Bredeneyer in der Gesamtstadt Essen gut aufgehoben fühlen.

Für weitere Information und zu den Belegen der Zitate siehe Klaus Wisotzky, Wie Essen grösser wurde. Die Eingemeindungspolitik der Stadt Essen im Kaiserreich, in: Essener Beiträge 127 (2014), S. 181-317. Dr. Klaus Wisotzky war bis 2019 Leiter des Hauses der Essener Geschichte / Stadtarchiv .

"Bredeney in der Zeit der selbstständigen Bürgermeisterei 1902 bis 1915"

Bredeney in der Zeit der selbstständigen Bürgermeisterei 1902 bis 1915 ist das Thema des heutigen Nachmittags. Der Vortrag befasst sich nicht mit der Eingemeindung Bredeneys nach Essen 1915 selbst. Das ist umfassend geschehen durch Dr. Klaus Wisotzky, den Leiter des Essener Stadtarchivs, Mitte April während eines Festaktes im alten Rathaus. Die Frage ist hier vielmehr, wie sich Bredeney entwickelt hat während der Zeit seiner Selbstständigkeit.

Der Beantwortung dieser Fragen geschieht  in mehreren Schritten: Einem Überblick über die Entwicklung Bredeneys bis zur Verselbstständigung 1902 folgen einige Anmerkungen zu den allgemeinen Zeitströmungen in den beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg, die ja zumindest teilweise auch in Bredeney ihren Ausdruck fanden. Dann werden mit der Landwirtschaft und dem Bergbau zunächst zwei alte Lebenswelten behandelt, die sich auch in das neue Jahrhundert hinübergerettet haben. Vor allem geht es dann aber um neue Lebenswelten, die sich aufgetan haben – im Bereich des Wohnens, der Freizeitgestaltung, der Kirchen, der Finanzkraft und der investiven Tätigkeit der Gemeinde. Nicht immer lassen sich natürlich Umbrüche und Aufbrüche mit dem offiziellen Datum der Verselbstständigung 1902 festmachen. Veränderungen brauchen oft Jahre. Übergänge sind fließend. In mancher Beziehung  war die offizielle Verselbstständigung auch die Folge eines schon begonnenen  Veränderungsprozesses. Aber es wird deutlich, dass sich gerade auch in der Zeit der Selbstständigkeit Vieles getan hat.

Den kompletten Beitrag finden sie hier.

"Bredeney in der Zeit der selbstständigen Bürgermeisterei 1902 bis 1915"

Bredeney vor 1902

Zunächst in aller Kürze: Wie hat sich Bredeney bis zur Verselbstständigung 1902 entwickelt? Die überlieferte Geschichte Bredeneys beginnt mit mehreren Schenkungen von Länfereien auf Bredenyer Gebiet an die spätere Abtei Werden um 800. Bis 1803 blieb Bredeney eine im Wesentlichen landwirtschaftlich geprägte und weitestgehend zur Abtei Werden gehörende Bauernschaft – in breiter Streulage der Höfe mit gewissen Verdichtungen unten an der Ruhr, oben im Dorf und im Bereich der Meckenstocker Höfe. Zum Bredeneyer Gebiet gehörte –als Lehen auch der Abtei Werden – zudem Schloß Baldeney.

Karte der Abtei Werden in seiner Abgrenzung zum Gebiet des Fürstäbtissinenstiftes in Essen mit Bredeney an der oberen nördlichen Grenze.
Karte der Abtei Werden in seiner Abgrenzung zum Gebiet des Fürstäbtissinenstiftes in Essen mit Bredeney an der oberen nördlichen Grenze.

1803 gelangte Bredeney mit der Säkularisierung zunächst für kurze Zeit und endgültig ab 1815 zu Preußen und war seitdem eine der Honnschaften (Bauernschaften) der Landbürgermeisterei Kettwig – zuletzt als Zweihonnschaft im Verbund mit Schuir.

Karte von 1896 mit der kommunalpolitische Situation im Raum Essen 19. Jahrhundert.
Karte von 1896 mit der kommunalpolitische Situation im Raum Essen 19. Jahrhundert.

Was tat sich nun aber wirtschaftlich von 1800 bis 1900: Im 19. Jahrhundert prägte neben der Landwirtschaft nun zusätzlich der Kohlenabbau in Kleinzechen das gewerbliche Bild, später kamen Ziegeleien und ab 1898 ein Straßenbahndepot dazu. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Bredeney aufgrund seiner reizvollen Lage zunehmend Siedlungsgebiet für gehobenes Essener Bürgertum. Diese Veränderungsprozesse waren mit einer erheblichen Bevölkerungszunahme von 560 im Jahre 1822 auf rd. 5.900 um 1900 verbunden. Sie erforderte mit ihren rapid wachsenden Verwaltungsgeschäften eine Abkoppelung von der Landbürgermeisterei Kettwig. 1902 wurde die Gemeinde Zweihonnschaften, bestehend aus Ober- und Unterbredeney, Schuir und Baldeney als Bürgermeisterei selbstständig, seit 1903 führte sie den Namen Bredeney.

Die Karte von Essen im Jahre 1905 mit der eigenständigen Bürgermeisterei Bredeney mit Unterbredeney im linken unteren Zipfel Bredeneys.
Die Karte von Essen im Jahre 1905 mit der eigenständigen Bürgermeisterei Bredeney mit Unterbredeney im linken unteren Zipfel Bredeneys.

Zeitströmungen

Nach diesem Überblick über die Geschichte Bredeneys bis 1900 erscheint ein kurzer Blick auf  Zeitströmungen in den beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg sinnvoll. Es war eine Zeit des Aufbruchs, der beginnenden Veränderung von Lebens- und Gesellschaftsformen. Auf der einen Seite versuchte sich im Kaiserreich noch die Klassengesellschaft mit ihren starken sozialen Hierarchien und einem konservativen  Wertesystem zu halten. Auf der anderen Seite führte die Industrialisierung zu einer neuen Klassenstruktur mit Arbeiterschaft und wohlhabenderem Bürgertum neben den bisherigen Gesellschaftsschichten und zu mannigfaltigen Innovationen. Viel Neues stieß auf Altes. Man suchte nach neuen Orientierungen, nach neuen Lebens- und Ausdrucksformen. Einige Beispiele: Die Arbeiterschaft formierte sich, ebenso eine erste Frauenbewegung mit der Forderung nach Frauenwahlrecht. Mit dem Wandervogel entstand eine neue Jugendbewegung. Die  Vereine als Orte organisierter, wenn auch nach Schichten getrennter Geselligkeit und Bildungsvermittlung kamen hoch in Blüte. Neue Freizeitgestaltungen entwickelten sich mit wachsendem Wohlstand. Und auch in der Architektur kam es mit Jugendstil und Reformarchitektur zu neuen Stilrichtungen.

Teilweise spiegeln sich im Mikrokosmos Bredeney auch diese skizzierten allgemeinen Entwicklungen.

Das alte Bredeney

Die Darstellung Bredeneys in der Zeit um 1900/1910 beginnt mit den wirklich alten Arbeitsbereichen – der Landwirtschaft und dem Bergbau – , die auch danach noch blieben, aber in dieser Zeit erheblichen Veränderungen unterworfen waren.

Das alte Bredeney – Die Landwirtschaft

Die meisten Eigentümer von Höfen und Kotten veräußerten zwischen 1870 und 1915, vor allem aber nach 1900 ihre Anwesen, die sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts, also gerade erst, von der preußischen Domänenverwaltung  erworben hatten, weiter an sehr zahlungskräftige Geldgeber. Das waren die Familie Krupp auf dem Hügel, die neue Gemeinde Bredeney, die Stadt Essen und die Essen-Bredeneyer Terrain- und Baugesellschaft „Gartenstadt“ GmbH. Teilweise wurde das Gelände sofort anderweitig verwendet, teilweise pachteten die bisherigen Eigner Hof und Grund aber zurück und ließen den landwirtschaftlichen Betrieb erst im Lauf der Jahre auslaufen. Hier nur einige wichtige Betriebe:

Im oberen Bredeney lagen mit dem Kirchmannshof an der Kirche St. Markus und dem Wüsthof an der Graf Bernadotte Straße die beiden sog. Bredeneyer Urhöfe. Zum ältesten und größten, dem Kirchmannshof, gehörte ursprünglich insbesondere das gesamte Gelände zwischen der heutigen Franken-, Bredeneyer und Wiedtfeldstraße. Stichworte der Entwicklung ab 1900 sind hier: Verkauf bis 1910 an Diverse, teilweise Rückpachtung bei Aufgabe des Hofes erst 1958.

Der frühere Kirchmannshof
Der frühere Kirchmannshof

Der der Familie Ostermann gehörende Wüsthof erstreckte sich über weite Teile des oberen Bredeney.. Beim Wüsthof sind die Stichworte der Entwicklung: Verkäufe zunächst 1865 an Krupp, vor allem aber 1907 an die Gemeinde bei Aufgabe des Hofes schon 1912.

Familie Ostermann um 1886
Familie Ostermann um 1886

Ein drittes Beispiel ist eine der ganz alten Bredeneyer Hofgruppen, die Meckenstocker Höfe., die von den Eigentümern, den Familien Meckenstock, Ruschen, Reckmann und Bruckmann weitgehend 1910 an die Essen-Bredeneyer Terrain- und Baugesellschaft „Gartenstadt“ GmbH bei gleichzeitiger Rückpachtung verkauft wurden. Die Landwirtschaft endete im Meckenstock endgültig etwa 1965.

Hofgruppe Meckenstock um 1950
Hofgruppe Meckenstock um 1950

Ein letztes Beispiel sind die bis 1907 zum Schloss Baldeney gehörenden Kotten am Baldeneyer Berg. Dort wohnten Bergleute, die gleichzeitig Landwirtschaft betrieben. 1907 verkaufte der Baron von dem Bottlenberg den Baldeneyer Berg an die Stadt Essen, die dadurch erstmals Zugang zur Ruhr bekam. Danach lief die Landwirtschaft dort aus.

Baldeneyer Berg und – rechts hinten – die Villa Hügel in den 1920er-Jahren   
Baldeneyer Berg und – rechts hinten – die Villa Hügel in den 1920er-Jahren  

Das alte Bredeney – Der Bergbau

Die große Zeit des Bergbaus in Bredeney zwischen 1770 und 1860 war um 1900 schon vorbei. Auch Bredeney lag ja auf Kohle. Die meist kleinen Zechen befanden sich im Ruhrtal, zogen sich aber auch den gesamten Bredeneyer und Baldeneyer Berg hinauf bis oben ins Dorf. Die spätere Zeche Langenbrahm hatte um 1770 an der Kluse ihren Ursprung, wanderte aber, als der Tieftagebau möglich wurde, weiter nach Norden und wurde in Rüttenscheid und Rellinghausen zum größten Steinkohlenunternehmen im Essener Süden.

Frühes Luftbild der Zeche Langenbrahm mit Alfredusbad und Straßenbahndepot.
Frühes Luftbild der Zeche Langenbrahm mit Alfredusbad und Straßenbahndepot.

Ein Teil der Bergleute von Langenbrahm wohnte aber in Bredeney. Sie bildeten dort die zahlenmäßig größte Berufsgruppe des Ortes. Diese Bergleute siedelten in Bredeney verstreut mit Schwerpunkten in Kolonien der Zeche im Gebiet der Kluse und in Prumendorf an der oberen Einigkeitsstraße.

Klusenkapelle mit Zechenhäusern Langenbrahm („Klein Mexiko“) um 1900.
Klusenkapelle mit Zechenhäusern Langenbrahm („Klein Mexiko“) um 1900.

Die im Volksmund auch „Klein Mexiko“ genannte Siedlung an der Klusenkapelle bestand bis Mitte der 1970er Jahre. Die Siedlung in Prumendorf wurde in den Jahren 1955 bis 1975 sukzessive abgerissen und durch Häuser der Essener Verkehrsbetriebe ersetzt.

Häuser der Zechensiedlung Prumendorf
Häuser der Zechensiedlung Prumendorf

Das neue Bredeney – Neuer Wohnort gehobenen Bürgertums

Diese alten Lebensbereiche – Landwirtschaft und Bergbau – trafen auf neue. Zunächst wurde Bredeney mit auslaufendem Bergbau zu einem Wohnort gehobenen Bürgertums. Die im Vergleich zur Stadt und dem Essener Norden überaus reizvolle Lage oberhalb der Ruhr bot sich an. Es begann mit der Wohnsitznahme der Familie Krupp auf dem Hügel ab 1864, dem Bezug der Villa Hügel 1873. Das war eine Art Initialzündung.

Luftbild der Villa Hügel um 1920
Luftbild der Villa Hügel um 1920

Hinzu kam: 1894 eröffnete die Süddeutsche Eisenbahngesellschaft, der Vorläufer der Essener Verkehrsbetriebe, als zweite Straßenbahnlinie Essens die Strecke vom Hauptbahnhof  zum Alfredusbad und verlängerte diese 1897 bis in das oberen Bredeney. Zudem errichtete sie am Alfredusbad 1898 ein Straßenbahndepot, das als Arbeitsstätte in Bredeney von Bedeutung wurde.

Straßenbahn-Betriebshof Bredeney am Alfredusbad um 1911
Straßenbahn-Betriebshof Bredeney am Alfredusbad um 1911

Auf jeden Fall wurde Bredeney so durch die Straßenbahn verkehrsmäßig zugänglicher, was den Villenbau einer wohlhabenden Schicht Essener Bürger zusätzlich förderte.

Es entstanden verstreut in Bredeney einige Villenkolonien, die erste am gerade erwähnten Alfredusbad. Dort war 1895 – nur wenige Jahre betrieben – das Sanatorium Alfredusbad eröffnet worden. Vor allem aber erbauten begüterte Bürger unmittelbar südlich des Alfredusbades an der Bredeneyer Straße und am Blumenkamp eine Reihe herrschaftlicher Häuser mit vielfältigen Dach- und Fassadengestaltungen, teilweise Jugendstilelementen und  Vorgärten.

Häuser Bredeneyer Straße 21 und 23
Häuser Bredeneyer Straße 21 und 23

Nächster Villenstandort ist der „Ruhrstein“. Hier erwarben 1894/95 der Bauunternehmer Diehl und der Baurat Philippi von Wilhelm Ostermann vom Wüsthof ein acht Hektar großes Grundstück. Darauf entstand neben dem Luftkurhaus Ruhrstein, im Laufe der nächsten Jahre eine Landhauskolonie u. a. durch die Bauunternehmer und Architekten Diehl, Paul Antenbrink, Bruno Kunhenn, und Oskar Schwer. Einige der damaligen Villen stehen heute noch Am Ruhrstein (u.a. Nr. 7 und 25).

Villenkolonie Ruhrstein um 1905
Villenkolonie Ruhrstein um 1905

Eine weitere Villenkolonie entstand ab 1905 in den Straßen Am Wiesental/Am Brunnen, nachdem der Gemeinderat Bredeney den Ausbau der vom Alfredusbad dorthin führenden Waldstraße, der heutigen Wiedtfeldstraße, beschlossen hatte. Auf ursprünglich zum Kirchmannshof gehörendem Gelände gründete und baute dann weitgehend der Architekt Wilhelm Conrad die neue Villensiedlung, die zumindest bis zur Eingemeindung Bredeneys nach Essen 1915 nach ihm auch Conradsche Colonie hieß.

Haus Am Wiesental 12 um 1910.
Haus Am Wiesental 12 um 1910.

Eine letzte Villenkolonie, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, entwickelte sich ab 1911 in der heutigen Brachtstraße.

Das neue Bredeney – Ausflugsziel Essener Bevölkerung

Nicht nur der Villenbau erlebte in Bredeney um 1900 eine erste große Blüte, sondern auch das Ausflugwesen. Zeitgeist und zunehmender Wohlstand machten den Ausflug aus der schlechten Luft der engen Industriestädte hinaus ins Grüne, in die deutlich gesündere relativ unberührte Natur erstrebenswert, wenn dies auch vor 1918 wegen der langen Arbeitszeiten eher nur ein Sonntagsvergnügen blieb. Und das waldreiche Bredeney auf der Ruhrhöhe bis zur Ruhr bot hier sehr gute Möglichkeiten: Verkehrsmäßig war der Ort oben ab 1894 durch die Straßenbahn und unten an der Ruhr durch die 1890 eröffnete Haltestelle Hügel der Bahn von Werden zum Essener Hauptbahnhof erschlossen. Und dazu kamen nun eben eine Vielzahl von größeren und kleineren Ausflugslokalen, die sich wie eine Perlenkette von der isenburg am Ruhrhang entlang über die heutige Frankenstraße bis zum Ruhrstein hinzogen.

Postkarte aus dem Jahre 1912 mit einer Wandergruppe an der „Schwarzen Lene“ mit Blick ins Ruhrtal
Postkarte aus dem Jahre 1912 mit einer Wandergruppe an der „Schwarzen Lene“ mit Blick ins Ruhrtal

An dieser Stelle sei ein Blick geworfen auf den „Wandervogel“ in Bredeney. Diese 1901 in Berlin gegründete zivilisationskritische und  zunächst insbesondere an den Höheren Schulen verortete Jugendbewegung erreichte das Ruhrgebiet erst spät – wenige Jahre vor Kriegsausbruch mit einem Höhepunkt nach dem Krieg und in den zwanziger Jahren. Aber die Anfänge der Bewegung auch in ihrer organisierten Form lagen auch im Essener Süden schon vor 1914. 1911 wurde am Goethegymnasium in Rüttenscheid zunächst unter dem Dach des Deutschen Pfadfinderbundes die sog. „Marschriege“ ins Leben gerufen, die sich in den Ferien Deutschland erwanderte. Und 1914 begann Robert Jahn, der spätere berühmte Essener Stadthistoriker, seine Lehrertätigkeit am damaligen Realgymnasium, der heutigen Goetheschule in Bredeney. Robert Jahn war dem Wandervogel sehr verbunden und nach dem Kriege zusammen mit Felix Arends einer der Leiter der außerordentlich geschätzten „Wanderriege“ des Gymnasiums.

Zurück zu den Ausflugslokalen: Auf der Höhe oberhalb des Schlosses Baldeney zählten zu ihnen insbesondere die Schwarze Lene, Auf dem Isenberge und der Ruhrblick neben der Heimlichen Liebe. Von ihnen sei hier beispielhaft nur auf die Gaststätte M Isenberge eingegangen.

Gaststätte Auf dem Isenberge um 1900
Gaststätte Auf dem Isenberge um 1900

Sie war damals in Zeiten verklärender Burgenromantik vielbesucht, ist heute aber nicht mehr vorhanden.  – Von den Ausflugslokalen im Bereich der heutigen Frankenstraße seien hier das Restaurant Zur Waldecke an der Ecke der Frankenstraße/Wiedfeldtstraße (damals Rellinghauser-/Waldstraße), unweit davon in der Wiedfeldtstraße das Reform-Restaurant Milch- und Kaffeewirtschaft ‚Nachtigall‘ mit großem Spielplatz, eigener Bäckerei und Konditorei (später auch Tanzlokal) sowie  an der Ecke Frankenstraße/Emdenstraße das Restaurant Ulmenhof des Fried. Veith genannt. Das Restaurant zur Waldecke war gleichzeitig Verkehrslokal des Deutschen Radfahrerbundes, und in ihm wurde zudem 1909 die Gründung der Bredeneyer Realgymnasien beschlossen.

Restaurant zur Waldecke von Carl Real um 1900
Restaurant zur Waldecke von Carl Real um 1900

 

Das große und komfortable Luftkurhaus Ruhrstein war 1896 nach dem Bau der Straßenbahn, in „staubfreier Lage und mit wunderschönen Ausblicken“ erbaut worden und bestand bis in die 1960er-Jahre. Das Ausflugsrestaurant und die Pension Bredeneyer Krone, die es noch bis in die 1970er-Jahre gab, war Ende des 19. Jahrhunderts unmittelbar neben dem Wüsthof von August Ostermann erbaut worden. Mit dem zum Aussichtsturm umfunktionierten Mühlenturm des Hofes war sie eines der Wahrzeichen des alten Bredeney.

Luftkurhaus Ruhrstein um 1906
Luftkurhaus Ruhrstein um 1906

 

Das neue Bredeney – Gastronomiezentrum Bredeneyer Kreuz

Eine Ballung gastronomischer Betriebe gab es am Bredeneyer Kreuz. Doch diese Betriebe im eigentlichen Zentrum Bredeneys waren primär keine Ausflugslokale; sie hatten im Wesentlichen einen älteren Ursprung. Es waren Betriebe an der Kreuzung zweier alter Handelsstraßen. Hier traf die 1000 Jahre alte strata coloniensis von Köln nach Münster auf die von Düsseldorf über Kettwig und Steele zum Hellweg führende Straße, an der in Bredeney außerhalb des Kreuzes auch die 1814 schon existierende Schenkwirtschadt Am Wittkopp stand.

Bredeneyer Kreuz um 1915.
Bredeneyer Kreuz um 1915.

Die Gaststätten am Kreuz gehörten zur Infrastruktur Bredeneys mit einer Bevölkerung, die ja stark gewachsen war. Sie verkörperten altes und neues Bredeney zugleich. Sie seien kurz vorgestellt: Das heutige japanische Restaurant Akasaka entstand aus einem schon im Mittelalter nachgewiesenen Kotten, in dem Ende des 19. Jahrhunderts eine Gaststätte eingerichtet wurde. Diese brannte bald ab. 1899 errichtete der Fuhrunternehmer und Wirt Johann Plückthun das heutige Gebäude – im Bild vom Bredeneyer Kreuz links zu sehen – , die  Gaststätte Plückthun, das spätere Kartoffelhaus und heute also Akasaka.

Auf dem Gelände der heutigen Nationalbank stand früher der Fachwerkbau des „Restaurant zur Post“, das wegen seiner niedrigen Eingangstür auch „Hotel bück Dich“ genannt wurde. Es wurde vom Wirt Wilhelm Howar betrieben und 1904 abgerissen, nachdem dieser unmittelbar daneben einen Neubau, die spätere und bis 2008 betriebene Gaststätte Kels, errichtet hatte.

Das alte und neue Restaurant zur Post 1904.
Das alte und neue Restaurant zur Post 1904.

Wenige Meter weiter an der Stelle des Geschäftshauses Ecke kleine Bredeneyer Straße stand bis in die 1990er-Jahre die früheren Gaststätte Höltgen.

Schenkwirtschaft Hubert Höltgen um 1900
Schenkwirtschaft Hubert Höltgen um 1900

Die Postkarte zeigt u.a. diesen stattlichen Neubau der Schenkwirtschaft Hubert Höltgen  zusammen mit dem Fachwerkhaus des alten Kottens und der Straßenbahn. St. Markus, Villa Hügel und Höltgen zeigen sich auf der Postkarte sinnig als gleichberechtigte Attraktionen Bredeneys.

Und schließlich befand sich – gegenüber von Hubert Höltgen –  in dem bis vor kurzem betriebenen Restaurant Caravelle und im heutigen Supermarkt die Gast- und Schenkwirtschaft Rulhof.

Gaststätte Rulhof um 1900
Gaststätte Rulhof um 1900

Sie war an Stelle einer älteren Gaststätte wahrscheinlich um 1900 erbaut worden und das im Bereich des Bredeneyer Kreuzes dominierende Gasthaus mit „schönen und luftigen Logierzimmer“, einem Stallanbau zur Unterstellung von 10 Pferden sowie einem großen Saalanbau, der dem Etablissement zeitweise den Beinamen „zur Sängerhalle“ eintrug. Zudem war zumindest  bis 1901 Heinrich Rulhof einer der beiden “königlichen Wege-Geldempfänger“ der mautpflichtigen und erst 1852 fertiggestellten Essen-Kettwiger Chaussee.

Das neue Bredeney – Kirchen

Unser nächstes Thema sind die Kirchen. Die Jahre zwischen 1880 und 1910 waren auch für die beiden christlichen Kirchen Jahrzehnte zunehmender Eigenständigkeit.  Kommunale und kirchliche Verselbstständigungsprozesse liefen etwa parallel. Dass dabei die katholische Kirche vorausging, war wenig verwunderlich:  Zum einen war Bredeney ursprünglich als Bauernschaft der Abtei Werden nahezu katholisch, hatte bis 1775 mit der Markuskapelle auch bis zu deren Schließung wegen Baufälligkeit ein eigenes Gotteshaus. Zum anderen wuchs die Bevölkerung ständig, so dass die langen Wege zur Mutterkirche nach Werden für die Gemeinde immer weniger zumutbar wurden. Nachdem der Bauer Kirchmann vom unmittelbar anliegenden Kirchmannshof sowohl ein Grundstück als auch den weitaus größten Teil der benötigten Mittel zur Verfügung gestellt hatte, konnte so – endlich – 1883 die Kirche St. Markus gebaut werden. Ein Pfarrhaus kam dazu.

Kirche St. Markus mit Pfarrhaus um 1883
Kirche St. Markus mit Pfarrhaus um 1883

Ab 1886 erhielt die Gemeinde – zunächst als von Werden entsandter Rektor und 1893 offiziell – mit Johann Heinrich Oertgen ihren ersten eigenen Pfarrer, 1887 ihren eigenen Friedhof und 1893 konnte sie sich – nach Gemeinde-interner Beschlussfassung schon 1889 und anscheinend ohne nennenswerte Widerstände – von der Mutterpfarrei in Werden lösen und wurde selbstständige Pfarrei.

Die Zahl der Evangelischen in Bredeney war erst nach 1880 nennenswert gestiegen. Die Familie Krupp war evangelisch, ebenso die Mehrzahl der Bediensteten auf dem Hügel, desgleichen ab Mitte der 1890er Jahre ein großer Teil des nach Bredeney ziehenden wohlhabenden Bürgertums und anscheinend auch des Personals im Straßenbahndepot.  1900 waren von rd. 5860 Einwohnern in Bredeney (einschl. Unterbredeney) schon rd. 1840 evangelisch, also rd. 1/3. Die geistliche Versorgung von der Mutterkirche in Werden gestaltete sich auch hier immer schwieriger. Deshalb wurde 1903 von Werden ein Hilfsprediger eingestellt, der zunächst u.a. in Gastwirtschaften in Oberbredeney Gottesdienste abhielt. Eine eigene evangelische Kirche, ein Bethaus, erhielten die Bredeneyer dann schon 1906 mit der  Kirche Am Brandenbusch. Sie war auf einem Grundstück, das Margarethe Krupp der Gemeinde zur Verfügung gestellt hatte, 1905/06 vom Architekten Carl Nordmann, der in Essen mehrere evangelische Kirchen entworfen hat, gebaut worden. 1910 wurde unmittelbar an die Kirche ein „Vereinshaus“ mit Kleinkinderschule und Räumen für Jugendgruppen, Gemeindeschwester und Küster angefügt und so ein erstes Gemeindezentrum geschaffen. Überhaupt haben beide christlichen Kirchen mit ihren vielfältigen Vereinen das Vereinsleben in Bredeney, dem in dieser Zeit eine große Bedeutung zukam, außerordentlich gefördert.

Evangelisches Bethaus und Vereinshaus Am Brandenbusch in einer Architektenzeichnung von 1910
Evangelisches Bethaus und Vereinshaus Am Brandenbusch in einer Architektenzeichnung von 1910

Das neue Bredeney - Neue Finanzkraft der Gemeinde

Das bisher Beschriebene im neuen Bredeney betraf Entwicklungen ohne unmittelbare Beteiligung der kommunalen Gemeinde. Wie hat nun aber die Gemeinde selbst die Entwicklung Bredeneys gestaltet? Entscheidend dafür waren natürlich die finanziellen Spielräume, über die die Verwaltung verfügte. Die Gemeinden deckten zur damaligen Zeit ihren Finanzbedarf auf der Steuerseite durch die Realsteuern, also vor allem Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern, die ihnen nach der Miquelschen Steuerreform von 1891-93 voll zustanden sowie vor allem aber durch Zuschläge zur staatlichen Einkommensteuer. Bei allen diesen Steuern konnten die Gemeinden die Hebesätze selbst festlegen. Und insbesondere hinsichtlich der Einkommensteuer befand sich Bredeney in einer außerordentlich komfortablen Situation. 1895 war in einem Vertrag zwischen der Stadt Essen und dem Landkreis festgelegt worden, dass Bredeney 1/8 der von Krupp gezahlten kommunalen Einkommensteuer zustand. Aufgrund der großen Ertragskraft der Firma Krupp und etwas auch der hohen Einkommen des zugesiedelten Bredeneyer Bürgertums kam die Gemeinde auch bei vergleichsweise niedrigen Hebesätzen in den Genuss sehr hoher Einkünfte aus der Einkommensteuer.

Zwei Kenngrößen mögen diese Finanzkraft Bredeneys im Vergleich zur Stadt Essen illustrieren: bei Zuschlägen zur Einkommensteuer von lediglich 110 % erzielte Bredeney Einkommenssteuern von 80 Mark je Einwohner; davon stammten 80 % von Krupp. Die Stadt Essen erzielte dagegen bei Zuschlägen von 200 % nur 13 Mark je Einwohner. Der sehr niedrige Zuschlagsatz zur Einkommensteuer machte Bredeney – zum großen Leidwesen der Stadt Essen –  natürlich zusätzlich als Wohnort noch attraktiver und begehrenswerter.

Das neue Bredeney – Investitionen der Gemeinde

Was hat nun aber die Gemeinde damit und mit ihrem 1914 49-köpfigen Gemeinderat, 14 Kommissionen und einer rd. 70-köpfigen Verwaltung geleistet? Zunächst einmal hat sie natürlich dafür gesorgt, dass das Gemeinwesen mit modernen Einrichtungen der Daseinsvorsorge wie Gas, Strom, Wasser etc. versehen war und dass der laufende Betrieb der öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Friedhöfen, Polizei etc. funktionierte und bezahlt wurde. Was aber wurde investiert, was an Vermögen geschaffen? 1914 betrug das Bruttovermögen der Gemeinde rd. 10 Mill. Mark, das entspricht etwa 100 Mill. Euro heute. Das Nettovermögen betrug nach Abzug der Darlehensschulden von 6 Mill. M. rd. 4 Mill. Mark. Was war das an Investitionen m Einzelnen?

Investiert wurde zunächst in ein neues Verwaltungsgebäude, das 1902 gebaute Rathaus. Es war ein repräsentativer Bau mit einer schönen Fassade im Stile der Neorenaissance und einem sehenswerten Ratssaal.

Rathaus Bredeney um 1902
Rathaus Bredeney um 1902

Von großer Bedeutung war der Neubau von Schulen. 1899 wurde am Voßbusch die Kath. Schule 2 gebaut, in Ergänzung zu der gegenüber der Kirche Am Brandenbusch gelegenen 1830 errichteten Volksschule 1. Es folgte im Ortsteil Prumendorf 1906 an der Einigkeitsstraße die Kath. Schule 3. Und 1907 wurde dann – für die evangelischen Schüler – an der heutigen Graf-Spee-Straße die heute denkmalgeschützte Evangelische Gemeindeschule 2 errichtet.

 

Evangelische Gemeindeschule 2 um 1921
Evangelische Gemeindeschule 2 um 1921

Die Evangelische Gemeindeschule 1, die 1876 gegründete sog. Waldschule lag weitab am Weg zur Platte auf dem Weg nach Unterbredeney.

Die größte Tat im Schulwesen Bredeneys bis 1915 war aber zweifellos 1910 die Gründung der beiden Realgymnasien  – des Realgymnasiums für Jungen, der heutigen Goetheschule, und des Lyzeums für Mädchen, des heutigen Grashof Gymnasiums. Die steigende Zahl höherer Schüler in Bredeney und die Überfüllung der Gymnasien in der Stadt Essen machten diese Schritte überfällig. Gebaut wurde bis 1915 nur das Jungengymnasium. Das repräsentative 1913 errichtete und heute denkmalgeschützte freistehende Gebäude ist ein Musterbeispiel für den Bau höherer Schulen im wilhelminischen Kaiserreich und gleichzeitig herausragendes Beispiel der Reformarchitektur.

Schulgebäude der Goetheschule mit  links der Direktorenwohnung um 1913
Schulgebäude der Goetheschule mit  links der Direktorenwohnung um 1913

Noch zwei weitere Investitionen müssen genannt werden. Einmal der 1909 eröffnete kommunale Friedhof an der Westerwaldstraße. Er war mit einer architektonisch sehr schönen, im Krieg stark beschädigten und dann ersetzten Kapelle ausgestattet.

Alte Friedhofskapelle vor dem Abriss, um 1950/51
Alte Friedhofskapelle vor dem Abriss, um 1950/51

Und zum anderen – auf Gemeindegelände von Bredeneyer Bürgern gestiftet – der 1913 zur 100-Jahr-Feier der Völkerschlacht bei Leipzig eingeweihte Vaterländische Gedenkstein.

Jahrhundertdenkmal noch am Ursprungsort im Gemeindewald
Jahrhundertdenkmal noch am Ursprungsort im Gemeindewald

Das vor wenigen Jahren an die Bredeneyer Straße umgesetzte Denkmal erinnert zwar primär an die 100 Jahre zuvor geschlagene Völkerschlacht bei Leipzig 1813, aber gleichzeitig auch an das 25-jährige Thronjubiläum Kaiser Wilhelms II 1888-1913 und schließlich an die Bredeneyer Gefallenen im Preußisch-Deutschen Krieg von 1866 sowie im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Die Anlage im Gemeindewald war ist von Alfred Fischer entworfen worden, das Denkmal selbst stammte von Joseph Enseling.

Alle diese Investitionen waren nun mit Grundstückskäufen verbunden. Landkäufe wurden von der Gemeinde aber auch darüber hinaus getätigt – u. a. in Prumendorf, an der Brachtstraße, im Stocksiepen und im Gemeindewald. Vom Gemeindegebiet 1914 von 1684 Hektar waren knapp 70 Hektar Gemeindeeigentum.

Solche Investitionen, wie für Bredeney geschildert, hat es auch in anderen Gemeinden gegeben. Zum Teil waren Gemeinden – wie z.B. für den Bau von Schulen – auch dazu gesetzlich verpflichtet als Gegenleistung für die Verfügbarkeit über Einkommensteuer. Sicherlich hob sich Bredeney aber ab in Bezug auf Umfang und Qualität der Investitionen und vor allem dadurch, dass der Gemeinde alle diese Ausgaben möglich waren bei einem Zuschlag auf die Einkommensteuer von zuletzt nur 110%.

Das neue Bredeney – Grenzen kommunaler Eigenständigkeit

Abschließend ist zu fragen, ob die Gemeindeverwaltung die Entwicklung Bredeneys selbstständig bestimmen konnte oder ob sie in ihren Entscheidungen erheblichen Einflussnahmen Dritter unterlag. Sicherlich hatte das selbstständige Bredeney unter ihren Bürgermeistern Georg Vorberg und Walter Sachsse deutliche Gestaltungsspielräume und hat sie, wie gezeigt wurde, genutzt.

Walter Sachsse, der letzte Bürgermeister des selbstständigen Bredeney
Walter Sachsse, der letzte Bürgermeister des selbstständigen Bredeney

Immer aber hatte die Gemeinde bei wichtigen Entscheidungen zunächst die Interessenlage der Familie ihres „großen Mitbürgers, des größten Industriellen des Weltalls, Alfred Krupp“, wie es in der offiziellen Gemeindechronik von 1915 hieß, mit zu berücksichtigen.

Krupp hat immer wieder auch in dieser Zeit Institutionen in Bredeney materiell unterstützt, hat mit der „Colonie Brandenbusch“ eine Wohnsiedlung gebaut und besaß mit 250 ha rd. 15 % des damals noch großen Gemeindegebietes Oberbredeney, Unterbredeney und Schuir. Vor allem aber wäre die Eingemeindung Bredeneys nach Essen ohne die Zustimmung der Familie Krupp nicht möglich gewesen. Und auch die Erhaltung Bredeneys als Wohnortlage ohne nennenswertes Gewerbe und die Nichtbebaubarkeit des Baldeneyer Berges hat sich Krupp schon 1911 in einem Geheimvertrag mit der Stadt Essen für den Fall der Eingemeindung zusichern lassen.

Aber genau dieser Punkt – neben allen finanziellen Interessen – Bredeney als Wohnlage für gehobenes Bürgertum und als Erholungsort einzugemeinden, war auch das Ziel der Stadt Essen. Robert Schmidt, der große Stadtplaner der Stadt, hatte das schon so angedacht. Und die Stadt hatte bereits 1909 größere Ländereien  in Bredeney aufgekauft, um sie evtl. später für die Anlage einer Gartenstadt zu nutzen. In diesem Zusammenhang kam der „Essen – Bredeneyer Baugesellshaft „Gartenstadt“ GmbH“, an der die Stadt Krupp zu 50  %  beteiligte, eine besondere Bedeutung zu. Aber letztlich lag diese Ausrichtung Bredeneys auch im Sinne der Gemeindeverwaltung: Die Polizeiverordnung für Baufragen von 1905 schrieb für weite Teile Bredeneys die „Offene landhausmäßige Bebauung“ vor. Noch weiter ging allerdings das Gutachten des Aachener Professor Karl Henrici von 1906. Dort wird Bredeney ebenfalls als Ort landhausmäßig behaglichen Wohnens ohne grossindustrielle Anlagen mit einer erwarteten Zahl von Seelen zwischen 15 und 20.000 beschrieben. Dann heißt es aber weiter (ich zitiere): „Die „Villenstadt Bredeney wird … aller Voraussicht nach eine so große Ausdehnung gewinnen, dass sie durchaus selbstständig bestehen kann und demgemäß mit allen Einrichtungen ausgerüstet zu werden verlangt, welches ein städtisches Gemeinwesen bedingt.“ Nun, soweit, zu einer selbstständigen Stadt Bredeney, ist es nicht gekommen, dafür zur Eingemeindung nach Essen,

Zumindest hat es aber wohl allen damaligen Entscheidungsträgern an der Gemeindeausrichtung gefallen, was in einer Broschüre des Verkehrsvereins für den Stadt- und Landkreis Essen 1912 möglicherweise etwas überhöht zu Bredeney steht (ich zitiere): „Es ist ein Ort voll blühenden Lebens, gezeichnet zum beschaulichen Genießen und verdienter Ruhe, unmittelbar vor den Werkstätten schwerer, ernster, aufreibender Arbeit gelegen“.

Literatur- und Bildquellennachweis

Hauptsächlich verwendete Literatur

Denkmalliste der Stadt Essen: Liste der Baudenkmäler in Essen-Bredeney (http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Baudenkm%C3%A4ler_in_Essen)

Müller, Franz: Die Entwicklung der Gemeinde Bredeney bis zur Eingemeindung, Essen 1915

Schmitz, Herbert: Bredeney. Rittersitze, Höfe, Kotten und ihre Bewohner, Essen 1998

Haus der Geschichte/Stadtarchiv Essen: Bestand 732. Sammlung Steinforth (Unterlagen zu Geschichte und Gegenwart des Essener Stadtteils Bredeney und seiner näheren Umgebung)

Wisotzky. Klaus: Wie Essen größer wurde. Die Eingemeindungspolitik der Stadt Essen im Kaiserreich, in: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen, 127. Band (2014), S. 181-317.

„Bündische Jugend“ sowie „Der Wandervogel in Essen“, in: www.jugend1918-1945

www.Essener Ruhrperlen

Bildquellen

EVAG (Nr. 12), Evangelische Kirchengemeinde Essen-Bredeney (Nr. 26). Haus der Geschichte/Stadtarchiv Essen (Nr. 15), Historisches Archiv Krupp (Nr. 11), G, Böckmann (Nr. 30), Stefan Leenen (Nr. 17), Privatarchiv Herbert Schmitz (Nr. 6, 7, 9, 14, 16, 20, 22), Stadtbildstelle Essen (Nr. 29). Alle anderen Bilder bredeney aktiv einschl. Sammlung Steinforth (Depositum im Haus der Geschichte/Stadtarchiv Essen)